Entscheidungs 10ObS70/06a. OGH, 03-10-2006

ECLIECLI:AT:OGH0002:2006:010OBS00070.06A.1003.000
Date03 Octubre 2006
Judgement Number10ObS70/06a
Record NumberJJT_20061003_OGH0002_010OBS00070_06A0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schallhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien 1. Christine D*****, und 2. Petra N***** geb O*****, beide vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision und Rekurses der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Februar 2006, GZ 25 Rs 2/06i-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. September 2005, GZ 47 Cgs 121/03b-17, hinsichtlich der Erstklägerin als Teilurteil mit Maßgabe bestätigt und hinsichtlich der Zweitklägerin aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei ist schuldig der erstklagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Kosten der Rekursbeantwortung der zweitklagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Der als „Replik der beklagten Partei zur Revisions- und Rekursbeantwortung der klagenden Partei" bezeichnete Schriftsatz vom 26. 4. 2006 wird zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin Christine D***** ist österreichische Staatsangehörige, hat jedoch ihren Wohnsitz in Deutschland. Sie war und ist nach wie vor in Österreich beschäftigt; aufgrund der Geburt ihres Sohnes Fabian am 21. 4. 2002 war ihr Arbeitsverhältnis vom 21. 6. 2002 bis 7. 10. 2002 karenziert. Seit 8. 10. 2002 ist sie bei einem Wirtschaftstreuhänder in K***** (Österreich) tätig, wo sie von Oktober 2002 bis Dezember 2004 das vom Erstgericht im Einzelnen festgestellte Einkommen bezog.

Der Ehemann der Erstklägerin ist deutscher Staatsangehöriger und in der BRD beschäftigt. Er bezieht dort das der österreichischen Familienbeihilfe entsprechende Kindergeld, jedoch kein Bundeserziehungsgeld. Als Dienstnehmer des Bundeseisenbahnvermögens bezog er im Zeitraum vom 1. 7. 2002 bis 31. 10. 2004 das im Ersturteil detailliert festgestellte Einkommen. Der Ehegatte der Erstklägerin war nie in Karenz, sondern ständig berufstätig. Die Erstklägerin und ihr Mann wohnen seit 7. 12. 1996 in R***** (BRD). Dort ist seit seiner Geburt auch der gemeinsame Sohn Fabian gemeldet und wohnhaft. Die Erstklägerin hat ihren Sohn Fabian nach der Geburt durchgehend in Deutschland erzogen.

Mit Bescheid vom 13. 5. 2003 lehnte das Amt für Versorgung und Familienförderung München I den Antrag der Erstklägerin auf Zahlung des deutschen Bundeserziehungsgeldes für das zweite Lebensjahr des Kindes ab, weil die nach den deutschen Vorschriften normierte Einkommensgrenze um EUR 8.961,19 überschritten werde und die Klägerin den Rechtsvorschriften des Beschäftigerstaates (Österreich) unterliege. Gegen diesen Bescheid legte die Erstklägerin Widerspruch ein. Das Bayerische Landesamt für Versorgung und Familienförderung unterbreitete der Erstklägerin mit Schreiben vom 31. 10. 2003 ein Vergleichsanbot. Darin erklärte sich der Freistaat Bayern bereit, unter Abänderung des angefochtenen Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. 7. 2004 Bundeserziehungsgeld für das erste Lebensjahr des Sohnes Fabian vorläufig nach Art 114 der VO (EWG) Nr 574/72 über die Durchführung der VO (EWG) Nr 1408/71 in der gesetzlichen Höhe zu bezahlen. Dieses Vergleichsanbot nahm die Erstklägerin an, worauf ihr das Sozialgericht München mit Schreiben vom 13. 11. 2003 mitteilte, dass zufolge Rücknahme der Klage der Rechtsstreit erledigt sei. Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München I - Familienförderung - wurde der Erstklägerin ab 21. 6. 2002 Erziehungsgeld in Höhe von EUR 48 monatlich gewährt.

Auch die Zweitklägerin Petra O***** ist österreichische Staatsangehörige. Sie hat am 10. 9. 2002 ihren Sohn Tobias geboren. Der Lebensgefährte der Zweitklägerin und Vater des Kindes ist deutscher Staatsangehöriger und in Deutschland beschäftigt. Er bezieht dort das der österreichischen Familienbeihilfe vergleichbare Kindergeld für Tobias; Bundeserziehungsgeld bezieht er nicht. Die Zweitklägerin hat ihn am 12. 12. 2003 geheiratet und trägt nunmehr den Familiennamen N*****. Sie hat ihr Kind Tobias nach der Geburt durchgehend im EU-Raum erzogen; der Wohnsitz der Zweitklägerin ist seit 18. 12. 2000 in P***** (BRD).

Das Dienstverhältnis der Zweitklägerin im Bezirkskrankenhaus R***** (Österreich) begann am 14. 9. 1992, war vom 8. 11. 2002 bis 9. 9. 2004 infolge Mutterschaftskarenz karenziert und wurde am 10. 9. 2004 fortgesetzt. Ab 10. 9. 2004 erzielt sie ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von EUR 704,50 aufgrund einer Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 20 Wochenstunden. Der Gatte der Zweitklägerin war nie in Karenz, sondern stets berufstätig. Er erzielte im Zeitraum November 2002 bis September 2004 das im Ersturteil detailliert festgestellte ersichtliche Einkommen. Mit Schreiben des Arbeitsamtes Kempten (BRD) vom 26. 9. 2002 wurde dem Vater für den Sohn Tobias Kindergeld ab September 2002 zuerkannt. Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg vom 14. 11. 2002 wurde jedoch ausgesprochen, dass das Erziehungsgeld in unrichtiger Höhe ausbezahlt worden sei und der überbezahlte Betrag zurückgefordert werde. Mit Schreiben vom 22. 3. 2004 des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (BRD) wurde für das zweite Lebensjahr des Sohnes Tobias der Zweitklägerin Erziehungsgeld ab 12. 12. 2003 zuerkannt; dieses vorläufige Erziehungsgeld bezog die Zweitklägerin vom 12. 12. 2003 bis 9. 9. 2004.

Die beklagte Gebietskrankenkasse hat mit den angefochtenen Bescheiden vom 28. 4. 2003 bzw 5. 6. 2003 die Anträge der Erst- und Zweitklägerin auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes gemäß Art 73, 75 und 76 der VO (EWG) Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in Verbindung mit Art 10 Abs 1 lit b sub lit l der VO (EWG) Nr 574/72 über die Durchführung der VO (EWG) Nr 1408/71 abgewiesen. Diese Bescheide bekämpfen die Klägerinnen mit den Begehren auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes in der gesetzlichen Höhe ab 1. 7. 2002 (Erstklägerin) und - soweit noch streitgegenständlich - ab 8. 11. 2002 (Zweitklägerin). Sie berufen sich darauf,

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dass nach der VO (EWG) Nr 1408/71 das Beschäftigungsstaatsprinzip anzuwenden sei;

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dass sie in den entsprechenden Zeiträumen [in Österreich] gemäß dem ASVG [bei aufrechtem bzw wegen Mutterschaft karenziertem Arbeitsverhältnis] versicherungspflichtig gewesen und,

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dass ihre Söhne durchgehend im EU-Raum erzogen worden seien. Die Erstklägerin beziehe zwar vorläufig Bundeserziehungsgeld. Dies jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung, falls sich ergeben sollte, dass Österreich für die Zahlung von Kinderbetreuungsgeld zuständig sein sollte. Auch der Antrag der Zweitklägerin auf Zahlung von Bundeserziehungsgeld sei abgelehnt worden. Für das zweite Lebensjahr des Sohnes Tobias sei der Zweitklägerin vom Amt für Versorgung und Familienförderung Augsburg gemäß Schreiben vom 22. 3. 2004 jedoch Erziehungsgeld ab 12. 12. 2003 zuerkannt worden. Sowohl die beklagte Partei als auch das zuständige Versorgungsamt in Deutschland beriefen sich auf die VO (EWG) 1408/71. Durch die unterschiedliche Auslegung dieser Verordnung ergebe sich offensichtlich ein negativer Kompetenzkonflikt. Für die Beurteilung des Sachverhaltes sei in erster Linie das Beschäftigungsstaatsprinzip anzuwenden und vorrangig jener Staat zuständig, in dem ein Elternteil beschäftigt sei. Weil...

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