Entscheidungs 14Os142/18s (14Os33/19p). OGH, 25-06-2019

ECLIECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00142.18S.0625.000
Record NumberJJT_20190625_OGH0002_0140OS00142_18S0000_000
Judgement Number14Os142/18s (14Os33/19p)
Date25 Junio 2019
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Auslieferungssache des Dmitry F*****, AZ 313 HR 62/13k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie den Antrag des Dmitry F***** auf Erneuerung des Auslieferungsverfahrens nach § 363a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Betroffenen und seiner Verteidiger Dr. Böhmdorfer, Mag. Schender, Dr. Hausmaninger und Dr. Dietrich zu Recht erkannt:

Spruch

1./ In der Auslieferungssache AZ 313 HR 62/13k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die in der Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b (ON 181), vertretene Rechtsauffassung, wonach „rein kriminelle Taten nicht in den Regelungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens“ fielen, Art 4 Abs 3 des Auslieferungsvertrags der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl III 1999/216).

2./ Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

3./ Dem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit Note des United States Department of Justice vom 31. März 2014 (ON 43 S 7 ff) übermittelten die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) das Ersuchen um Auslieferung des ukrainischen Staatsangehörigen Dmitry F***** zur Strafverfolgung wegen der im Auslieferungsersuchen angeführten Straftaten.

Nach der gegen den Betroffenen zur Zahl 13 ***** am 20. Juni 2013 beim Bundesbezirksgericht für den Bezirk Illinois-Nord eingebrachten Anklageschrift (ON 41) ist der Genannte der Begehung von Straftaten verdächtig, die die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden als Verschwörung zum organisierten Verbrechen (Titel 18, United States Code § 1962 [d]), der Verschwörung zur Geldwäscherei (Titel 18, United States Code § 1956 [h] und § 2), des zwischenstaatlichen Reisens zur Unterstützung von organisierter Kriminalität (Titel 18, United States Code § 1952 und § 2) und der Verschwörung zum Bestechen eines ausländischen Amtsträgers (Titel 18, United States Code § 371 und § 2) subsumierten.

Mit Beschluss vom 30. April 2015, GZ 313 HR 62/13k-140, erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die begehrte Auslieferung mangels eines sich aus den Auslieferungsunterlagen ergebenden hinreichenden Tatverdachts für nicht zulässig (ON 140 S 207).

Mit Blick auf die Möglichkeit des Nachreichens weiterer Dokumente in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren erörterte der Einzelrichter dabei auch Art 4 Abs 3 des Auslieferungsvertrags zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl III 1999/216 idF BGBl III 2010/5 (in der Folge: Auslieferungsvertrag USA). Nach diesem werde eine Auslieferung dann abgelehnt, wenn – unabhängig vom Tatverdacht und von der Tat selbst – die Beweggründe, die zur Stellung des Auslieferungsbegehrens geführt hätten, (zumindest auch) politischer Natur seien (ON 140 S 213 f). Diese Regelung sei so zu verstehen, dass jede Art der politischen Motivation des Auslieferungsbegehrens, gleich ob innen-, geo-, wirtschafts- oder machtpolitisch, zu dessen Ablehnung führen müsse (ON 140 S 217).

Nach ausführlicher Darlegung der dazu angestellten Erwägungen (ON 140 S 221 ff) bejahte das Erstgericht die politische Motivation des Auslieferungsersuchens.

Zur Begründung dieser Annahme setzte es sich nicht nur eingehend mit der Person des Dmitry F***** und der jüngeren Geschichte der Ukraine unter Beleuchtung von Einflussnahmen des Betroffenen, dem es ungeachtet des Auslieferungsverfahrens nach wie vor politisches Gewicht in der Ukraine zumaß, auseinander. Der Erstrichter erörterte – unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der USA – auch die „Gaskrisen“ der Jahre 2006 und 2009 mit Blick sowohl auf die Tätigkeit des Betroffenen im Gashandel als auch seinen Konflikt mit der ehemaligen Ministerpräsidentin Julija T*****.

Bezugnehmend auf das politische Engagement von Dmitry F***** setzte sich der Einzelrichter mit dessen – nach seiner Einschätzung amerikanischen Interessen zuwiderlaufenden – Unterstützung von Wiktor J***** im Präsidentschaftswahlkampf 2010 auseinander und verwies auf die Einschätzung des Zeugen Wolfgang P*****, wonach die USA sich bereits ab Jänner 2006 bemüht hätten, ein vom Betroffenen geleitetes Unternehmen (und somit diesen selbst) aus seiner „Stellung im Gassektor zu verdrängen“.

Schließlich stellte das Erstgericht detailliert die politischen Ereignisse in der Ukraine dem Vorgehen der amerikanischen Behörden in der gegenständlichen Auslieferungssache gegenüber. Dabei setzte es insbesondere den am 1. November 2013 erfolgten Widerruf eines ersten Ersuchens um Festnahme des Dmitry F***** vom 30. Oktober 2013 in Beziehung zu einer für Ende November 2013 geplanten Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie einer Reise der im amerikanischen Außenministerium für Europa und Eurasien zuständigen Victoria N***** in die Ukraine. Das am 27. Februar 2014 übermittelte (erneute) Ersuchen um vorläufige Festnahme des Betroffenen brachte der Erstrichter in Verbindung mit der Weigerung des ukrainischen Präsidenten J*****, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, die dadurch ausgelöste Protestwelle („Euromaidan“, ON 140 S 347) und die Ankündigungen von Julija T***** und Vitali K*****, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Unter Verweis auf ein „geleaktes“ Telefonat zwischen Victoria N***** und dem amerikanischen Botschafter in der Ukraine erachtete das Erstgericht die Kandidatur Vitali K*****s – aufgrund der Unterstützung durch den Betroffenen – als den USA nicht genehm (ON 140 S 355).

Der Einzelrichter betrachtete das (erste) Ersuchen um „Festnahme eines seiner engsten Berater und einer der einflussreichsten Personen in der Ukraine“ als Druckmittel gegen den ukrainischen Präsidenten in den Gesprächen um das Assoziierungsabkommen und sah das erneute Festnahmeersuchen darin motiviert, dass die USA Dmitry F***** an weiteren politischen Einflussnahmen hindern hätten wollen. Auf diese Zusammenschau der politischen Ereignisse in der Ukraine und das Vorgehen amerikanischer Behörden bei den Ersuchen um vorläufige Festnahme gründete er die politische Motivation des am 1. April 2014 gestellten Auslieferungsersuchens (ON 140 S 361 ff).

Demgegenüber erachtete das Erstgericht das ausdrückliche Bestreiten politischer Beweggründe durch die US-amerikanischen Behörden als nicht überzeugend (ON 140 S 365 ff).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtete sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 162), die das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts unter anderem auf weitere zwischenzeitig von den amerikanischen Behörden übermittelte Unterlagen (insbesondere unterschriebene Zusammenfassungen der Aussagen von zwei Belastungszeugen, ON 152 und ON 153) gründete. In Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA erblickte die Beschwerdeführerin zwar ein dem ARHG fremdes, über § 14 ARHG hinausgehendes (dem Auslieferungsasyl in § 19 Z 3 ARHG entsprechendes) Auslieferungshindernis, das aber „zu erwartende massive, mit rechtsstaatlichen Wertungen nicht in Einklang zu bringende Nachteile, wie insbesondere eine den Betroffenen konkret treffende Gefahr einer politischen Verfolgung oder andere schwerwiegende, Menschenrechtsverletzungen gleichkommende Beeinträchtigungen“ voraussetze.

Dieser Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 21. Februar 2017, AZ 22 Bs 291/15b (ON 181), Folge und erklärte die Auslieferung des Dmitry F***** für nicht unzulässig.

Unter Berücksichtigung nachträglich übermittelter Unterlagen ging das Beschwerdegericht von einem hinreichenden Tatverdacht aus (BS 5 ff) und verneinte das Vorliegen von politischen Beweggründen im Sinn des Art 4 Abs 3 Auslieferungsvertrag USA (BS 15 ff). Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Wien sei diese Bestimmung „im Gegensatz zum reinen Wortlaut“ so zu verstehen, dass „Ausgangspunkt der Überprüfung politischer Beweggründe doch der (politische) Charakter der Tat sei, nicht hingegen jedwede politische Interessenlage des Zielstaats“. Somit fielen „rein kriminelle Taten nicht in den Regelungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens“ (BS 16). Diese Ansicht gründete das Rechtsmittelgericht auf die (österreichischen) Gesetzesmaterialien und einen Vergleich mit dem Auslieferungsvertrag zwischen der BRD und den USA. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts sei „unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers eine teleologisch einschränkende Auslegung des Art 4 Abs 3 des Abkommens vorzunehmen, die dazu führt, dass die vom Erstgericht herangezogenen Ereignisse in der Ukraine vom Herbst 2013 bis ins Frühjahr 2014, die also mehrere Jahre nach den inkriminierten Handlungen und Monate nach der Anklageerhebung stattfanden, sowie das angenommene außen- bzw geopolitische Interesse der USA an einer Verhaftung des Betroffenen im angeführten Zeitraum, mangels politischen Charakters der Tat nicht in den Anwendungsbereich des Art 4 Abs 3 des Abkommens fallen“ (BS 17). Neben...

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