Entscheidungs 1Ob118/23v. OGH, 27-05-2024
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00118.23V.0527.000 |
Judgement Number | 1Ob118/23v |
Date | 27 Mayo 2024 |
Record Number | JJT_20240527_OGH0002_0010OB00118_23V0000_000 |
Court | Oberster Gerichtshof (Österreich) |
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, *, vertreten durch die E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 373.170,46 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2023, GZ 14 R 187/22f-64, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. August 2022, GZ 31 Cg 18/19y-60, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:römisch eins. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267, AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 8 der Verordnung (EG) Nr 550/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten im einheitlichen europäischen Luftraum („Flugsicherungsdienste-Verordnung“) in der durch die Verordnung (EG) Nr 1070/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art 2 Nr 4 der Verordnung (EG) Nr 549/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 zur Festlegung des Rahmens für die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums („Rahmenverordnung“) in der durch die Verordnung (EG) Nr 1070/2009 geänderten Fassung dahin auszulegen,Ist Artikel 8, der Verordnung (EG) Nr 550/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten im einheitlichen europäischen Luftraum („Flugsicherungsdienste-Verordnung“) in der durch die Verordnung (EG) Nr 1070/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Artikel 2, Nr 4 der Verordnung (EG) Nr 549/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2004 zur Festlegung des Rahmens für die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums („Rahmenverordnung“) in der durch die Verordnung (EG) Nr 1070/2009 geänderten Fassung dahin auszulegen,
dass die Erbringung von Flugverkehrsdiensten auch dem Schutz des einzelnen Luftraumnutzers vor dem Eintritt eines reinen Vermögensschadens aufgrund rechtswidriger und schuldhafter Versäumnisse der mit den Flugsicherungsdiensten betrauten Flugsicherungsorganisation dient?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlagen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.römisch II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlagen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Paragraph 90 a, Absatz eins, GOG ausgesetzt.
Begründung:
I. Sachverhaltrömisch eins. Sachverhalt
[1] Die Austro Control Österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mit beschränkter Haftung (in der Folge: Austro Control) ist eine aufgrund des Bundesgesetzes über die Austro Control Gesellschaft mit beschränkter Haftung (in der Folge: ACG-Gesetz) gegründete Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter die hier beklagte Republik Österreich (Bund) ist. Sie hat alle früher dem Bundesamt für Zivilluftfahrt übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, insbesondere die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung. Die Republik Österreich (Bund) haftet gemäß § 10 Abs 1 ACG-Gesetz nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes (AHG) für die von den Dienstnehmern der Austro Control in Wahrnehmung des übertragenen Aufgabenbereichs in Vollziehung der Gesetze wem immer zugefügten Schäden. [1] Die Austro Control Österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mit beschränkter Haftung (in der Folge: Austro Control) ist eine aufgrund des Bundesgesetzes über die Austro Control Gesellschaft mit beschränkter Haftung (in der Folge: ACGGesetz) gegründete Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter die hier beklagte Republik Österreich (Bund) ist. Sie hat alle früher dem Bundesamt für Zivilluftfahrt übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, insbesondere die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung. Die Republik Österreich (Bund) haftet gemäß Paragraph 10, Absatz eins, ACG-Gesetz nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes (AHG) für die von den Dienstnehmern der Austro Control in Wahrnehmung des übertragenen Aufgabenbereichs in Vollziehung der Gesetze wem immer zugefügten Schäden.
[2] Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft mit Heimatflughafen in Wien-Schwechat. Sie nimmt für Flüge von und nach Wien die Flugverkehrsdienste der Austro Control in Anspruch und hat dafür Gebühren zu entrichten.
[3] Am 28. August 2016 kam es aufgrund technischer Probleme in der Sphäre der Austro Control zu Verzögerungen bei der Abfertigung und Annahme von Flügen und damit zu einem Passagierrückstau. Davon war auch die Klägerin betroffen.
II. Anträge und Vorbringen der Parteien:römisch II. Anträge und Vorbringen der Parteien:
[4] Die Klägerin begehrt von der beklagten Republik Österreich (Bund) Schadenersatz von 373.170,46 Euro.
[5] Die Austro Control betreibe im Rahmen der Flugsicherung den Nachrichtenvermittlungsserver (AFTN-Server [„Aeronautical Fixed Telecommunication Network“]), der als Teil des internationalen, dezentralen AFTN-Netzwerks zur Übermittlung von Fluginformationen zwischen den einzelnen Fluglinien, der Austro Control und der europäischen Koordinationsstelle in Brüssel (Eurocontrol) von essentieller Bedeutung sei. Die Austro Control sei verpflichtet, die zur ordnungsgemäßen und sicheren Erfüllung der ihr übertragenen Flugsicherungsaufgaben erforderlichen und dem internationalen Standard entsprechenden Flugsicherungseinrichtungen vorzuhalten und in betriebssicherem Zustand zu erhalten. Weil die Austro Control die angemessenen und zumutbaren technischen und personellen Vorkehrungen versäumt habe, sei es am 28. August 2016 zu einem weitgehenden Zusammenbruch des AFTN-Servers und in der Folge zu einer drastischen Reduktion der An- und Abflugraten des Flughafens Wien-Schwechat gekommen. Dadurch sei die Klägerin gezwungen gewesen, insgesamt 60 Flüge zu annullieren. Daraus sei ihr (schon unter Berücksichtigung von Ersparnissen) ein Vermögensschaden von insgesamt 373.170,46 Euro entstanden, der insbesondere aus der Rückerstattung von Tickets, den Umbuchungen auf Fremd-Airlines, dem Entfall der Verrechnung von Codesharing-Flügen, der Verpflegung und Unterbringung sowie dem Transport von Passagieren, der Nachsendung von Gepäckstücken und Überstundenleistungen der Mitarbeiter resultiere. Die nationalen und europäischen Normen über die Flugsicherung schützten (auch) die (rein) vermögensrechtlichen Interessen der Luftraumnutzer, die sich der Dienste der Flugsicherungsorganisation bedienen müssten und dafür Gebühren zu entrichten hätten.
[6] Die beklagte Republik Österreich (Bund) lehnt die Haftung ab. Die Verantwortlichen und Mitarbeiter der Austro Control hätten aus näher dargestellten Gründen nicht rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Zudem könne aus den rechtlichen Bestimmungen über die Flugsicherung kein Schutz (rein) vermögensrechtlicher Interessen von Flugunternehmen abgeleitet werden. Die europäischen Verordnungen seien reine Verwaltungsvorschriften und enthielten keine Haftungsregelungen; sie dienten ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Luftverkehr.
III. Bisheriges Verfahren:römisch III. Bisheriges Verfahren:
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens aus rein rechtlichen Erwägungen ab.
[8] Die nationalen und europäischen Bestimmungen über die Flugsicherung dienten der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Flugverkehrs und bezweckten, die Gesamteffizienz des Flugverkehrsmanagements und der Flugsicherungsdienste für den allgemeinen Flugverkehr in Europa im Hinblick darauf zu steigern, den Anforderungen aller Luftraumnutzer zu entsprechen. Die Gewährleistung eines sicheren Flugverkehrs und dessen möglichst reibungslosen Ablaufs komme zwar auch den einzelnen Luftfahrtunternehmen zugute, sodass die darauf abzielenden Normen als Schutzgesetze zu beurteilen seien. Allerdings dienten die betreffenden Vorschriften einzig und allein der Regelung des (vorhandenen) Luftverkehrs und nicht dem Vermögensschutz der Luftfahrtunternehmen. Daher sei der Schaden, den ein solches Unternehmen dadurch erleide, dass bestimmte Flüge nicht oder nur zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden könnten, vom Schutzzweck nicht erfasst. Schon aus diesem Grund sei die Haftung der Beklagten zu verneinen, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob Mitarbeiter der Austro Control rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hätten.
[9] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die Ergänzung des Verfahrens auf.
[10] Es kam – zusammengefasst – zum Ergebnis, dass die Besorgung der Flugsicherung nicht bloß im öffentlichen Interesse erfolge, sondern auch im Interesse der Luftfahrtunternehmen. Die...
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