Entscheidungs 1Ob236/03t. OGH, 18-11-2003

ECLIECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00236.03T.1118.000
Date18 Noviembre 2003
Judgement Number1Ob236/03t
Record NumberJJT_20031118_OGH0002_0010OB00236_03T0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lambert B*****, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 103.411,5 EUR sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 1. Juli 2003, GZ 5 R 24/03y-5, womit der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 21. Mai 2003, GZ 5 Cg 118/03p-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Antrag auf Anberaumung einer "mündlichen Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof" wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger, ein niederländischer Staatsangehöriger, begehrte die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Staatshaftungsverfahrens, in dem er den Bund erfolglos auf Zahlung von 1,422.985,60 S sA in Anspruch genommen hatte. Insofern beantragte er die Aufhebung des rechtskräftigen klageabweisenden Urteils; hilfsweise strebte er dessen Aufhebung "wegen Nichtigkeit" an. Nach seinem Vorbringen ist die Staatshaftungsklage, die sich auf die rechtswidrige Versagung einer Bewilligung zur freiberuflichen Ausübung des Berufs eines Physiotherapeuten durch die Verwaltungsbehörden gestützt habe, deshalb gescheitert, weil der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. 1. 1998 seine Beschwerden gegen den Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 31. 1. 1996 und gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28. 4. 1997, aber auch den vom Erstgericht gemäß § 11 Abs 1 AHG gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des erstgenannten Bescheids ohne Anberaumung einer - beantragten - mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen habe. Er habe deshalb den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen. Dieser habe mit Urteil vom 10. 4. 2003 ausgesprochen, dass durch die Nichtanberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden sei. Daraufhin habe er am 24. 4. 2003 die Wiederaufnahme des "menschenrechtswidrig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens" beantragt. Darüber sei noch nicht entschieden worden. Gäbe der Verwaltungsgerichtshof dem Wiederaufnahmeantrag statt, so bewirke das "nicht automatisch" die "amtswegige Wiederaufnahme" des Vorprozesses. Es bedürfe deshalb der vorliegenden Wiederaufnahme-, hilfsweise Nichtigkeitsklage. In dem darüber abzuwickelnden Verfahren werde das Erstgericht neuerlich den Verwaltungsgerichtshof mit einem Antrag nach § 11 Abs 1 AHG zu befassen haben, sei doch dessen Erkenntnis vom 20. 1. 1998 wegen eines "gravierenden Menschenrechtsverstoßes nichtig". Diese Beurteilung gründe sich auf § 477 Abs 1 Z 4 und 7 ZPO. Die Nichtigkeitsgründe seien im Gesetz überdies nicht taxativ aufgezählt. Die feststehende Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK durch den Verwaltungsgerichtshof begründe schon für sich die Nichtigkeit des im Vorprozess ergangenen klageabweisenden Urteils. Nicht erschöpfend aufgezählt seien im Gesetz ferner die Gründe für Wiederaufnahme- und Nichtigkeitsklagen. Demnach müsse eine feststehende Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK innerhalb eines im Vorprozess "interlokutorisch eingeschobenen sonstigen Verfahrens" einen "autonomen" Klagegrund bilden. "Naturgemäß" lägen aber auch die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO vor.

Das Erstgericht wies die Klage im Vorprüfungsverfahren zurück. Das Vorbringen des Klägers ziele auf den Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ab. Dieser sei jedoch erst dann verwirklicht, wenn die Wiederaufnahme des präjudiziellen Verfahrens zu einer anderen Sachentscheidung geführt habe. Dessen Wiederaufnahme allein erfülle den Wiederaufnahmegrund noch nicht.

Das Rekursgericht wies den Antrag des Klägers auf "'Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Zweitgericht'" zurück, verwarf dessen Rekurs, soweit in ihm Nichtigkeit geltend gemacht wurde, und gab dem Rechtsmittel im Übrigen mit der Maßgabe nicht Folge, dass das Klagebegehren nach der durch den Kläger gewählten Fassung "als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückgewiesen" wurde. Es sprach ferner aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ein Gericht zweiter Instanz habe gemäß § 526 Abs 1 ZPO über einen Rekurs ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Danach komme die Anberaumung einer mündlichen Rekursverhandlung nicht in Betracht. Einer solchen Verhandlung bedürfe es auch unter Bedachtnahme auf Art 6 Abs 1 EMRK nicht. Nach den aus der Entscheidung des EGMR vom 5. 9. 2002 über die Beschwerde Nr. 42057/98 - Speil gg Österreich (= ÖJZ 2003/5) ableitbaren Grundsätzen sei die Anberaumung einer Rekursverhandlung jedenfalls dann, wenn in einem Verfahren "Sachverhaltsfragen" nicht zu klären seien, nicht erforderlich. Das Vorprüfungsverfahren sei außerdem nicht kontradiktorisch. Im Rekursverfahren gelte Neuerungsverbot. Dieses sei nicht konventionswidrig. Angesichts dessen sei "zu fragen, was über seinen Rekurs hinaus der Rekurswerber bei einer allfälligen Verhandlung noch hätte vorbringen können oder auch dürfen". Er werde daher durch das Unterbleiben einer Rekursverhandlung "in keiner Weise benachteiligt", seien doch bei der Entscheidung nur Rechtsfragen aufgrund eines unstrittigen Sachverhalts zu lösen. Eine öffentliche mündliche Verhandlung sei im Vorprüfungsverfahren über eine Rechtsmittelklage aber auch in erster Instanz nicht notwendig, erstrecke sich doch die erstgerichtliche Prüfungsbefugnis "gleichfalls im Wesentlichen auf rechtliche Aspekte in dem Sinn, ob überhaupt ein gesetzlicher oder auch tauglicher Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmegrund vorgetragen" worden sei, ein "beachtlicher Zusammenhang mit dem wieder aufzunehmenden Verfahren" bestehe, "die Klage an sich schlüssig" sei oder ob die geltend gemachten Klagegründe bei abstrakter Beurteilung gar keinen Einfluss auf die Entscheidung im Vorprozess haben könnten. Sei die Klagefrist nach § 534 Abs 1 ZPO abgelaufen, so bedürfe es gleichfalls keiner öffentlichen mündlichen Verhandlung, weil "im Wesentlichen kein zulässiges neues Vorbringen außerhalb der Frist erstattet werden könnte". Der angefochtene Beschluss sei auch nicht gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nichtig, sei er doch - trotz knapper Begründung - überprüfbar.

Zwischen dem Vorprozess und dem für das ergangene Urteil präjudiziellen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs bestehe kein so enger Zusammenhang, dass "das Urteil des EGMR, mit welchem das Verfahren des VwGH im Vorverfahren beanstandet" worden sei, "gleichsam per se auf das gerichtliche Verfahren durchschlagen müsste". Eine Entscheidung des EGMR, aus der Gegenteiliges abzuleiten wäre, sei nicht nachweisbar. Urteile des EGMR entfalteten keine...

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