Entscheidungs 1Ob31/16i. OGH, 31-03-2016

ECLIECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00031.16I.0331.000
Date31 Marzo 2016
Judgement Number1Ob31/16i
Record NumberJJT_20160331_OGH0002_0010OB00031_16I0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** B*****, vertreten durch Mag. Stefano Alessandro, Rechtsanwalt in St. Andrä-Wördern, gegen die beklagte Partei S***** K*****, vertreten durch den Zustellkurator Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 17.145,41 EUR sA, im Verfahren über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Dezember 2015, GZ 11 R 163/15v-25, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 5. August 2015, GZ 31 Cg 6/15d-20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 7 Nr 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass ein Rückerstattungsanspruch (Ausgleichs-/Regressanspruch) eines Schuldners aus einem (gemeinsamen) Kreditvertrag mit einer Bank, der die Kreditraten alleine getragen hat, gegen den weiteren Schuldner aus diesem Kreditvertrag ein abgeleiteter (sekundärer) vertraglicher Anspruch aus dem Kreditvertrag ist?

2. Für den Fall, dass die Frage 1 bejaht wird:

Bestimmt sich der Erfüllungsort des Rückerstattungsanspruchs (Ausgleichs-/Regressanspruchs) eines Schuldners gegen den anderen Schuldner aus dem zugrundeliegenden Kreditvertrag

a. nach Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 („Erbringung von Dienstleistungen“) oder

b. gemäß Art 7 Nr 1 lit c in Verbindung mit lit a EuGVVO 2012 nach der lex causae?

3. Für den Fall, dass die Frage 2.a. bejaht wird:

Ist die Gewährung des Kredits durch die Bank die vertragscharakterische Leistung aus dem Kreditvertrag und bestimmt sich daher der Erfüllungsort für die Erbringung dieser Dienstleistung gemäß Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 nach dem Sitz der Bank, wenn die Hingabe des Kredits ausschließlich dort erfolgt ist?

4. Für den Fall, dass die Frage 2.b. bejaht wird:

Ist für die Bestimmung des Erfüllungsorts für die verletzte Vertragsleistung nach Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012

a. der Zeitpunkt der Kreditaufnahme durch beide Schuldner (März 2007) maßgeblich oder

b. der jeweilige Zeitpunkt, zu dem der regressberechtigte Kreditschuldner die Zahlungen, aus denen er den Regressanspruch ableitet, an die Bank geleistet hat (Juni 2012 bis Juni 2014)?

B. Das Verfahren über das Rechtsmittel der beklagten Partei wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Sachverhalt:

Die Beklagte - die ehemalige Lebensgefährtin des Klägers - hatte ihren letzten bekannten Wohnsitz in Österreich an der Adresse des Klägers. Sie ist estnische Staatsangehörige und hält sich nunmehr an unbekannter Adresse in Estland auf. Auch eine Kontaktaufnahme des Erstgerichts mit der estnischen Botschaft in Österreich führte zu keinem Ergebnis.

II. Zum Unionsrecht:

Art 4 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVVO 2012) bestimmt:

„(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 (im Kapitel II, Abschnitt 2: Besondere Zuständigkeiten) lautet:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b) im Sinne dieser Vorschrift - und sofern nichts anderes vereinbart worden ist - ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

- für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

- für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c) ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a;“

III. Zur österreichischen Rechtslage:

1. § 896 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (im Folgenden: ABGB) lautet:

„Ein Mitschuldner zur ungetheilten Hand, welcher die ganze Schuld aus dem Seinigen abgetragen hat, ist berechtiget, auch ohne geschehene Rechtsabtretung, von den übrigen den Ersatz, und zwar, wenn kein anderes besonderes Verhältniß unter ihnen besteht, zu gleichen Theilen zu fordern. War einer aus ihnen unfähig, sich zu verpflichten, oder ist er unvermögend, seiner Verpflichtung Genüge zu leisten; so muß ein solcher ausfallender Antheil ebenfalls von allen Mitverpflichteten übernommen werden. Die erhaltene Befreyung eines Mitverpflichteten kann den übrigen bey der Forderung des Ersatzes nicht nachtheilig seyn. (§ 894).“

2. Die vom Kläger herangezogene Bestimmung des § 1042 ABGB lautet:

„Wer für einen Andern einen Aufwand macht, den dieser nach dem Gesetze selbst hätte machen müssen, hat das Recht, den Ersatz zu fordern.“

3. § 905 Abs 2 ABGB lautete in der Fassung vor dem Zahlungsverzugsgesetz, BGBl I 2013/50, wie folgt:

„(2) Geldzahlungen hat der Schuldner im Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz (Niederlassung) zu übermachen. Hat sich dieser nach der Entstehung der Forderung geändert, so trägt der Gläubiger die dadurch bewirkte Erhöhung der Gefahr und der Kosten.“

§ 907a ABGB wurde mit dem Zahlungsverzugsgesetz, BGBl I 2013/50, eingefügt (zugleich wurde § 905 ABGB geändert) und lautet wie folgt:

„(1) Eine Geldschuld ist am Wohnsitz oder an der Niederlassung des Gläubigers zu erfüllen, indem der...

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