Entscheidungs 1Ob74/15m. OGH, 18-06-2015

ECLIECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00074.15M.0618.000
Date18 Junio 2015
Judgement Number1Ob74/15m
Record NumberJJT_20150618_OGH0002_0010OB00074_15M0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, *****, Wien 9, Währinger Gürtel 18-20, vertreten durch die RUDECK - SCHLAGER RECHTSANWALTS KG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 71.001 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Februar 2015, GZ 14 R 139/14k-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. August 2014, GZ 22 Cg 24/14a-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Anlassverfahren erteilte die Bezirkshauptmannschaft M***** einer am 30. 3. 1990 geborenen georgischen Staatsangehörigen gemäß § 62 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG; BGBl I 2005/100) eine Aufenthaltsbewilligung, Sonderfall unselbständiger Erwerbstätigkeit (Au-pair). Der Nachweis des gemäß § 11 Abs 2 Z 3 NAG erforderlichen Krankenversicherungsschutzes erfolgte durch die Vorlage einer von der ausländischen Staatsangehörigen mit einem inländischen Versicherer für die Dauer ihres Aufenthalts in Österreich (vom 4. 9. 2012 bis 31. 8. 2013) abgeschlossenen Auslandsreisekrankenversicherungsvertrags. Dieser enthält marktübliche Risikoausschlüsse. Die Bezirkshauptmannschaft erachtete den privaten Krankenversicherungsvertrag als im Sinn des § 11 Abs 2 Z 3 NAG ausreichend.

§ 3 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kurzfristige Auslandsreisekrankenversicherung (AVBAR 2007) enthält folgende Risikoausschlüsse:

Kein Versicherungsschutz besteht für

3.1 Krankheiten und Unfälle sowie deren Folgen, die aufgrund eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften (Morphium, Kokain usw.) eintreten oder verschlechtert werden oder deren Heilbehandlung infolge eines missbräuchlichen Genusses von Alkohol oder Suchtgiften wesentlich erschwert ist, sowie für Entziehungsmaßnahmen und Entziehungskuren;

3.2 Anhaltung bzw. Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung, Heilbehandlung der Folgen von Selbstmordversuchen sowie Selbstmord;

3.3 Krankheiten und Unfälle sowie deren Folgen, die durch Kriegsereignisse jeder Art, aktive Beteiligung und Unruhen, schuldhafte Beteiligung an Schlägereien oder bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung, die Vorsatz voraussetzt, entstehen;

3.4 auf Vorsatz des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person beruhende Krankheiten und Unfälle, einschließlich deren Folgen; ...

3.5 Behandlungen, die ausschließlich oder teilweise Grund für den Aufenthalt im vereinbarten Geltungsbereich waren;

3.6 Verschlimmerungen bereits bestehender Erkrankungen und Unfallfolgen, mit denen aufgrund des Gesundheitszustandes der versicherten Person und Art/Dauer des Aufenthalts im vereinbarten Geltungsbereich gerechnet werden musste;

3.7 bestehende Erkrankungen und Unfallfolgen, deren Behandlung während des Aufenthaltes im vereinbarten Geltungsbereich aufgrund des bekannten Verlaufs zu erwarten war bzw. aufgrund eines Therapieplans erfolgt;

3.8 Entbindung, Fehlgeburt oder Schwangerschaftsunterbrechung sowie eine mit der Schwangerschaft in Verbindung stehende medizinisch notwendige Heilbehandlung;

3.9 kosmetische Behandlungen und Operationen und deren Folgen sowie Geschlechtsumwandlungen;

3.10 konservierende oder prothetische Zahnbehandlungen und Zahnimplantationen und deren Folgen sowie auch damit im ursächlichen Zusammenhang stehende vorbereitende Maßnahmen (ausgenommen Behandlung akuter Zahnerkrankungen oder -verletzungen);

3.11 nichtärztliche Hauspflege sowie Maßnahmen der Geriatrie, der Rehabilitation und der Heilpädagogik;

3.12 durch Pflegebedürftigkeit bedingte Hilfe und Betreuung;

3.13 die Inanspruchnahme ortsgebundener Heilverfahren (Kuren);

3.14 alle Formen der künstlichen Befruchtung (z.B. In-Vitro-Fertilisation, Insemination);

3.15 Heilbehelfe (z.B. Brillen, Mieder, Prothesen);

3.16 Impfungen, ärztliche Gutachten und Atteste.

Die georgische Staatsangehörige, die über keinen Krankenversicherungsschutz nach dem ASVG verfügte, wurde in der Zeit vom 22. 3. bis 29. 5. 2013 aufgrund einer akut gewordenen psychischen Erkrankung als unabweisbare Patientin [Anm: im Sinn des § 36 Abs 4 Wiener Krankenanstaltengesetz, LGBl 1987/23 idgF; kurz: WrKAG] in einem öffentlichen Krankenhaus der Klägerin aufgenommen und dort stationär behandelt. Die Behandlung erfolgte im Rahmen einer Unterbringung ohne Verlangen nach dem Unterbringungsgesetz (UbG). Für die Behandlung fielen Pflegegebühren von 71.001 EUR an, die weder von ihr noch vom Privatversicherer bezahlt wurden. Letzterer lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass für diese Erkrankung kein Versicherungsschutz bestehe.

Hätte die Bezirkshauptmannschaft die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt, wäre (die georgische Staatsangehörige nicht nach Österreich eingereist und) es zu keiner Behandlung im Krankenhaus gekommen, wodurch die Pflegegebühren nicht angefallen wären.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die ihr entstandenen Pflegegebühren aus dem Titel der Amtshaftung wegen rechtswidriger und schuldhafter Erteilung der Aufenthaltsbewilligung an die Drittstaatsangehörige mangels eines alle Risiken abdeckenden Versicherungsschutzes im Sinn des § 11 Abs 2 Z 3 NAG. Entgegen dieser Bestimmung habe die Bezirkshauptmannschaft den privaten Krankenversicherungsvertrag, der eine Vielzahl von Risikoausschlüssen enthalte, als ausreichend...

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