Entscheidungs 3Ob216/21t. OGH, 28-04-2022

ECLIECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00216.21T.0428.000
Date28 Abril 2022
Judgement Number3Ob216/21t
Record NumberJJT_20220428_OGH0002_0030OB00216_21T0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei E* AG, *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. September 2021, GZ 3 R 62/21s-23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Mai 2021, GZ 58 Cg 69/20k-16, zum Teil bestätigt, zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen (I.) und zu Recht erkannt (II.):

Spruch

I. Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 28. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich der bestätigten und der in Rechtskraft erwachsenen Teile lauten:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt, und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klauseln:

Klausel 1: 'Zahlungsverzug: Für ausbleibende Zahlungen verrechnen wir Ihnen zusätzlich zum jeweiligen Zinssatz 4,75 % p.a. Überziehungsprovision. Darüber hinaus können wir für von Ihnen verschuldete Schäden Ersatz fordern. Das gilt insbesondere für die Kosten außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen. Voraussetzung: Die Kosten müssen zweckentsprechend sein und in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen.'

Klausel 2: 'Mit Beträgen, die auf das Kreditkonto eingezahlt werden, decken wir zuerst offene Beträge ab und danach die Raten entsprechend dem Tilgungsplan.'

Klausel 3: 'Diese Rücktrittsfrist beginnt mit dem Tag, an dem dieser Kreditvertrag abgeschlossen wurde.'

Klausel 5: 'Diese Rücktrittserklärung ist an die auf der ersten Seite dieser Finanzierungszusage unter ,Ihr Ansprechpartner:‘ genannte Person mit dort bezeichneter Adresse/Telefonnummer/Faxnummer/E-Mail-Adresse zu richten.'

oder die Verwendung sinngleicher Klauseln binnen drei Monaten zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es zu unterlassen, sich binnen drei Monaten auf die vorstehend genannten Klauseln oder sinngleiche Klauseln zu berufen.

2. Die klagende Partei wird ermächtigt, den klagestattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal im redaktionellen Teil einer bundesweit erscheinenden Samstagsausgabe der 'Kronen-Zeitung' auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.

3. Hingegen wird das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt, und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel

'Bearbeitungsprovision: EUR 300,00 einmalig, unabhängig von der Laufzeit Ihrer Finanzierung. Das heißt für Sie, dass diese auch bei einer vorzeitigen Rückzahlung Ihrer Finanzierung nicht zurückerstattet wird.' (Klausel 4)

oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen, sowie das Begehren, sie sei ferner schuldig, es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannten Klauseln oder sinngleiche Klauseln zu berufen, abgewiesen.

4. Das Begehren, die beklagte Partei werde ermächtigt, den klageabweisenden Teil des Spruchs samt Ermächtigung zu seiner Veröffentlichung einmal binnen sechs Monaten ab Rechtskraft des Urteils im redaktionellen Teil einer bundesweiten Samstagsausgabe der 'Neuen Kronen-Zeitung' in fetter Umrandung und in Normallettern (dh mit gleicher Schriftgröße wie redaktionelle Beiträge), aber mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien, auf Kosten der klagenden Partei zu veröffentlichen; hilfsweise, sie werde zur Veröffentlichung in angemessenem Umfang ermächtigt, wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.107,53 EUR (darin 490,06 EUR USt und 1.167,20 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster Instanz und die mit 2.781,91 EUR (darin 341,75 EUR USt und 731,40 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei an Kosten des Revisionsverfahrens einen Barauslagenersatz von 763 EUR binnen 14 Tagen zu leisten.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 28. 12. 2021, mit dem sie auf die Revisionsbeantwortung replizierte, war zurückzuweisen, weil jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zusteht; eine Äußerung oder Replik zur Revisionsbeantwortung ist nicht vorgesehen (RS0041666 [T49]).

Zu II.:

[2] Der Kläger ist ein klageberechtigter Verein iSd § 29 KSchG.

[3] Die Beklagte betreibt das Bankgeschäft und bietet ihre Leistungen unter anderem im gesamten Bundesgebiet an. Sie tritt in ihrer geschäftlichen Tätigkeit laufend mit Verbrauchern iSd § 1 KSchG in rechtsgeschäftlichen Kontakt und schließt mit diesen Verträge ab, denen sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder die Vertragsformblätter „Kreditvertrag“, „Kreditzusage“ oder „Europäische Standardinformationen“ zu Grunde legt. Das bis November 2020 verwendete Formular „Kreditzusage“ enthielt – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – auch die aus dem Spruch ersichtlichen Klauseln Nr 1 und 4. Die Klausel 1 ist ebenfalls in den von der Beklagten verwendeten Formularen „Kreditvertrag“ und „Europäische Standardinformation für Kreditierungen nach dem Verbraucherkreditgesetz“ enthalten.

[4] Jedenfalls seit 1. 1. 2021 verwendet die Beklagte ein Formular „Kreditzusage“, in dem die Klausel 4 nicht mehr enthalten ist. Die Beklagte beruft sich seit diesem Zeitpunkt auch gegenüber Kunden, die Kreditverträge zwischen dem 11. 9. 2019 und dem 31. 12. 2020 geschlossen haben, nicht mehr auf diese Klausel und zahlt denjenigen, die vor Laufzeitende die offene Kreditsumme zurückzahlen, einen Teil der Bearbeitungsprovision zurück. Gegenüber Kunden, die bis zum 11. 9. 2019 Kreditverträge abgeschlossen haben, beruft sich die Beklagte weiterhin auf die Klausel 4.

[5] Der Kläger stellte mit seiner Verbandsklage das aus dem Spruch ersichtliche Unterlassungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehren.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und stellte ihrerseits – wie aus dem Spruch ersichtlich – ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.

[7] Die wechselseitigen Vorbringen werden – soweit für das Revisionsverfahren relevant – in der Folge im Zusammenhang mit den einzelnen Klauseln dargelegt.

[8] Das Erstgericht gab – ausgehend von dem von ihm festgestellten, soweit für Revisionsverfahren relevant oben wiedergegebenen Sachverhalt – dem Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Klauseln 1, 2, 4 und 5 sowie dem Urteilsveröffentlichungsbegehren des Klägers statt. Das Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Klausel 3 und das Urteilsveröffentlichungsbegehren der Beklagten wurden abgewiesen. Das Erstgericht verurteilte die Beklagte in Anwendung des § 43 Abs 1 ZPO zum Kostenersatz.

[9] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Unterlassungsbegehren auch hinsichtlich der Klausel 3 stattgab. Es verurteilte die Beklagte in Anwendung des § 41 ZPO, hinsichtlich des Berufungsverfahrens iVm § 50 ZPO, zum Kostenersatz.

[10] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es handle sich um Klauseln einer Branche, welche regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung seien.

[11] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, in Hinsicht auf die Klauseln 1 und 4 das Unterlassungsbegehren und in Hinsicht auf alle fünf Klauseln das Urteilsveröffentlichungsbegehren des Klägers abzuweisen und dem Urteilsveröffentlichungsbegehren der Beklagten in Hinsicht auf die Klauseln 1 und 4 stattzugeben. Als Revisionsgrund wird unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

[12] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[13] Die Revision ist zulässig, weil der Frage der Zulässigkeit einer richtlinienkonformen Interpretation im Fall, dass sich die Gesetzeslage nach einer Entscheidung des EuGH als richtlinienwidrig erweist, erhebliche Bedeutung zukommt.

[14] Die Revision ist zum Teil auch berechtigt.

A. Zum Unterlassungsbegehren:

Zur Klausel 1:

[15] Der Kläger begründete in seiner Klage die Unzulässigkeit der Klausel 1 unter anderem mit einer behaupteten Verletzung des § 1336 ABGB.

[16] Die Beklagte bestritt, dass die Klausel 1 § 1336 ABGB verletze.

[17] Das Erstgericht trat der Rechtsansicht des Klägers bei und verurteilte die Beklagte zur Unterlassung.

[18] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es vertrat zusammengefasst die Ansicht, die in Satz 1 der Klausel 1 vorgesehene „Überziehungsprovision“ von zusätzlichen 4,75 % übersteige den dispositiven Verzugszinssatz von 4 %, weshalb eine Konventionalstrafe vorliege. Da der zweite Satz der Klausel 1 der Beklagten erlaube, zusätzlich Schadenersatz zu fordern, aber keine Ausverhandlung dessen im Einzelfall vorliege, verletze Satz 2 § 1336 Abs 3 ABGB. Diese Rechtswidrigkeit führe zur Unzulässigkeit der Klausel 1 in ihrer Gesamtheit, weil ihre einzelnen Sätze keine...

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