Entscheidungs 3Ob230/12p. OGH, 23-01-2013

ECLIECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00230.12P.0123.000
Record NumberJJT_20130123_OGH0002_0030OB00230_12P0000_000
Date23 Enero 2013
Judgement Number3Ob230/12p
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.408,50 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 13. September 2012, GZ 18 R 204/12x-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 4. Juni 2012, GZ 3 C 2220/11w-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte GmbH war Abschluss- und Konzernprüferin für die Jahresabschlüsse 2000 bis 2008 der A***** AG, deren IAS-Konzernabschlüsse für die Jahre 2004 bis 2008 und der Jahres- und Konzernabschlüsse 2001 bis 2008 der A***** AG (seit 16. Februar 2007: A***** AG). Bei sämtlichen Abschlüssen bis zum Jahr 2007 erteilte die Beklagte einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk, bei den Jahresabschlüssen für 2008 jeweils nur einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk. Die Jahres- und Konzernabschlüsse der beiden Aktiengesellschaften samt Bestätigungsvermerken wurden jeweils im Firmenbuch veröffentlicht.

Die Genussscheine der A***** AG der Serie 2001 notierten am 17. September 2001 im Freiverkehr an der Frankfurter Börse. Der Kläger erwarb am 2. Juli 2003 fünf A*****-Genussscheine zum Gesamtkaufpreis inklusive Agio von 8.408,50 EUR.

Im Mai 2010 wurde über das Vermögen der beiden Aktiengesellschaften das Konkursverfahren eröffnet.

Am 11. April 2011 entsprach der Kurswert der Genussscheine 0,00 EUR.

Mit der am 20. Oktober 2011 eingelangten Klage begehrt der Kläger Schadenersatz von der Beklagten als Abschlussprüferin und Prospektkontrollorin, die zahlreiche näher ausgeführte Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis im eigenwirtschaftlichen Interesse seit Beginn ihrer Tätigkeit nicht aufgedeckt, sondern uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe. Das Hauptbegehren lautet auf Ersatz des Kaufpreises von 8.408,50 EUR; das Eventualbegehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für jenen Schaden, den der Kläger dadurch erleide, dass er im Fall eines Verkaufs der Genussscheine weniger als den von ihm gezahlten Kaufpreis erhalte. Die Beklagte habe ursächlich dazu beigetragen, dass sich das „A*****-System“ bis Oktober 2008 halten habe können und so Genussscheine ohne tatsächliche Werthaltigkeit emittiert worden seien, die ua der Kläger gekauft habe. Dadurch sei der Kläger am Vermögen im Umfang des Totalverlusts des eingesetzten Kapitals geschädigt worden. Wäre die Beklagte ihren Pflichten nachgekommen, hätte der Kläger, der auf die korrekte, gewissenhafte und gesetzeskonforme Prüfung durch die Beklagte vertraut habe, den Kauf der Genussscheine nicht getätigt und sich um deren Verkauf bemüht. Wäre ihm insbesonders die fehlende Werthaltigkeit bekannt gewesen, hätte er sich niemals zum Kauf oder Behalten der Genussscheine entschlossen. Der Anspruch sei auch nicht verjährt, weil der Schaden erst durch die Insolvenzeröffnung über die A***** AG und die A***** AG eingetreten sei und der Kläger erst im Herbst 2011 von der Beklagten als Schädigerin erfahren habe. § 275 Abs 5 UGB gelte für die Dritthaftung nicht. Die zehnjährige Präklusionsfrist nach § 11 Abs 7 KMG laufe nicht ab Prospektveröffentlichung, sondern erst ab Beendigung des prospektpflichtigen Angebots.

Die Beklagte bestritt schadenersatzpflichtig zu sein und wendete primär Verjährung nach § 275 Abs 5 UGB und Präklusion nach § 11 Abs 7 KMG idF BGBl 1994/210 ein. Die Beklagte berief sich dazu auch auf die mit ihren Auftraggebern vereinbarten Allgemeinen Auftragsbe- dingungen für Wirtschaftstreuhandberufe (AAB). Dem Kläger sei bereits durch den Erwerb der Genussscheine ein realer Schaden durch „Vermögensumschichtung“ entstanden. Soweit der Kläger auf einen Verkauf der Genussscheine abstelle, sei ein allenfalls pflichtwidriges Handeln der Beklagten nicht kausal, weil bei früherer Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks der Zusammenbruch des „A*****-System“ nur zeitlich vorverlagert worden wäre. Eine Prospektpflicht in Österreich habe gar nicht bestanden. Mit Einführung der Genussscheine im Freiverkehr der Frankfurter Börse sei ein allfälliges prospektpflichtiges Anbot beendet gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung des auf § 275 UGB gestützten Anspruchs gegen die Beklagte als Abschlussprüfer (Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB mit Eintritt des Schadens durch Kauf der nach den Behauptungen des Klägers schon damals nicht werthaltigen Genussscheine am 2. Juli 2003) und wegen Präklusion der Prospekthaftung (Beginn der weiter anzuwendenden kürzeren Präklusivfrist des § 11 Abs 7 KMG aF von fünf Jahren mit Zulassung der Genussscheine an der Frankfurter Börse am 17. September 2001) zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und übernahm die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Ergänzend verwies es zur Verjährung auf die Entscheidung 1 Ob 35/12x; ein Vorbringen über einen Sachverhalt, der für den Vorwurf einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung hinreichen würde, habe der Kläger nicht erstattet, weshalb die lange Verjährungsfrist nach der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB nicht in Frage komme. Das Vorbringen, der Kläger hätte bei ordnungsgemäßer Versagung/Einschränkung des Bestätigungsvermerks sofort schadensfrei verkaufen können, sei nicht nachvollziehbar, weil diesfalls eine Veräußerung der Genussscheine - ebenso wenig wie nunmehr - auch nicht möglich gewesen wäre; Gegenteiliges habe der Kläger trotz Hinweises der Beklagten auch nicht behauptet. Eine Schadensvergrößerung stelle ebenfalls einen Folgeschaden dar, dessen Verjährung schon mit Eintritt des Primärschadens (Erwerb der Genussscheine) zu laufen beginne. Zur Schlüssigkeit der Prospekthaftung fehle trotz eines entsprechenden Hinweises der Beklagten die Behauptung der Kenntnis des konkreten, von der Beklagten kontrollierten Prospekts. Allfällige Ansprüche des Klägers daraus seien aber ohnehin entsprechend der zutreffenden Rechtsansicht des Erstgerichts präkludiert.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob § 275 Abs 5 UGB auch bei vorsätzlichem Handeln gelte, wann der Primärschaden diesfalls eintrete und wann das öffentliche Angebot nach § 11 Abs 7 KMG als beendet gelte.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung. Zur Abschlussprüferhaftung wendet sie sich vor allem gegen die analoge Anwendung des § 275 Abs 5 UGB auf Drittschäden und will die kurze subjektive Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB, hilfsweise die lange Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 2 2. Variante ABGB angewendet wissen. Der Schaden des Klägers sei frühestens mit Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der beiden Aktiengesellschaften entstanden. Weiters beruft sich der Kläger ausdrücklich auf weitere Anspruchsgrundlagen, und zwar § 255 AktG und § 275 Abs 2 UGB als Schutzgesetze und § 1300 Satz 2 ABGB, was zur Anwendung des § 1489 ABGB führe. Es bestünden auch sekundäre Feststellungsmängel zum behaupteten Schadenseintritt wegen verhinderter Verkaufsmöglichkeit. Zur Haftung der Beklagten als Prospektprüfer bestreitet der Kläger eine Präklusion nach § 11 Abs 7 KMG aF und macht als weitere Anspruchsgrundlage § 80 BörseG geltend.

Die Beklagte verweist in ihrer Revisionsbeantwortung sowohl auf die Unzulässigkeit der Revision als auch auf deren fehlende inhaltliche Berechtigung.

Die Revision ist zulässig, weil es der Klärung der Rechtsfrage bedarf, innerhalb welcher Frist Schadenersatzansprüche Dritter aus vorsätzlicher Pflichtverletzung eines Abschlussprüfers verjähren und wann diese Frist zu laufen beginnt. Weiters bedarf es auch für den Bereich fahrlässiger Schädigung zur Anspruchsgrundlage der Dritthaftung einer Klarstellung. Die Revision ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. Vorbemerkungen zu der im Gesetz nicht geregelten, im Wege richterlicher Fortbildung entwickelten Dritthaftung des Abschlussprüfers:

Den Abschlussprüfer trifft nur gegenüber dem geprüften Unternehmen aufgrund des Prüfungsvertrags eine vertragliche Haftung. Gegenüber einem Dritten besteht grundsätzlich eine Haftung für Vermögensschäden nur bei vorsätzlicher Pflichtverletzung, nicht aber bei bloß fahrlässiger Schädigung. Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse wird allerdings in der dogmatischen Diskussion versucht, den Vermögensschutz in bestimmten Konstellationen zu erweitern und eine „quasivertragliche“ Haftung aus Schutzgesetzen, aus angenommenen Schutzwirkungen eines Vertrags zugunsten Dritter oder aber aus dem Grund der Verletzung objektiver-rechtlicher Sorgfaltspflichten abzuleiten. Im Begutachtungsverfahren zur Neufassung des § 275 HGB (nun UGB) wurde eine gesetzliche Regelung der Dritthaftung vergeblich eingefordert; in der RV zum FMAG (641 BlgNR XXI. GP, 97) wird ausdrücklich ausgeführt: „Eine Klarstellung dieser Frage bleibt der Rechtsprechung und der zukünftigen Gesetzgebung vorbehalten.“ Mit ähnlich „noblem Schweigen“ reagierte der deutsche Gesetzgeber auf dort erhobene Forderungen, etwa nach einem gesetzlichen Ausschluss der Dritthaftung des Abschlussprüfers für...

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