Entscheidungs 4Ob195/20k. OGH, 20-04-2021

ECLIECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00195.20K.0420.000
Date20 Abril 2021
Judgement Number4Ob195/20k
Record NumberJJT_20210420_OGH0002_0040OB00195_20K0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin A***** regGenmbH, *****, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beklagte C***** Sàrl, *****, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, Nebenintervenienten auf Seiten der Beklagten 1. T***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. Ö***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Gerhard Bauer, Rechtsanwalt in Wien, 3. S***** GmbH, *****, 4. P***** GmbH, *****, beide vertreten durch Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Rechnungslegung und Zahlung (Gesamtstreitwert 108.500 EUR), im Verfahren über die Revision der Klägerin sowie über die Revisionen der Beklagten und der 3. und 4. Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2020, GZ 5 R 23/20v-90, mit welchem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Oktober 2019, GZ 58 Cg 2/19f-72, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A. Die Parteienbezeichnung der Beklagten sowie jene der Dritt-, Viert- und ehemals Fünftnebenintervenientin wird jeweils wie im Kopf der Entscheidung ersichtlich berichtigt.

B. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 1 Abs 2 lit b Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl L 248, S 15) dahin auszulegen, dass nicht nur das Sendeunternehmen, sondern auch ein an der unteilbaren und einheitlichen Sendehandlung mitwirkender Satellitenbouquet-Anbieter eine – allenfalls zustimmungsbedürftige – Nutzungshandlung bloß in jenem Staat setzt, in dem die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt, dies mit der Folge, dass es durch die Mitwirkung des Satellitenbouquet-Anbieters an der Sendehandlung zu keiner Verletzung von Urheberrechten im Empfangsstaat kommen kann?

2. Wenn Frage 1 verneint wird:

Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 1 Abs 2 lit a und c Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl L 248, S 15) sowie in Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass der während einer öffentlichen Wiedergabe über Satellit als weiterer Akteur mitwirkende Satellitenbouquet-Anbieter, der mehrere verschlüsselte High-Definition-Signale von Free- und Pay-TV-Programmen verschiedener Sendeunternehmen nach seiner Vorstellung zu einem Paket bündelt und das auf diese Weise geschaffene eigenständige audiovisuelle Produkt seinen Kunden entgeltlich anbietet, eine gesonderte Erlaubnis des Inhabers der betroffenen Rechte auch hinsichtlich der geschützten Inhalte in den im Programmpaket enthaltenen Free-TV-Programmen benötigt, obwohl er seinen Kunden insoweit ohnedies bloß Zugang zu solchen Werken verschafft, die im Sendegebiet bereits für jedermann – wenngleich in schlechterer Standard-Definition-Qualität – frei zugänglich sind?

C. Das Verfahren über die Rechtsmittel der Klägerin, der Beklagten und der Dritt- bis Viertnebenintervenientinnen wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Text

Begründung:

Zu A.

[1] 1. Die beklagte M***** SA wurde per 30. 6. 2020 mit Gesamtrechtsnachfolge in die U***** Sàrl verschmolzen. Die U***** Sàrl wurde sodann in C***** Sàrl umfirmiert. Die Parteienbezeichnung der Beklagten ist daher entsprechend zu berichtigen.

[2] 2. Die ehemals Viertnebenintervenientin S***** GmbH ist mit Verschmelzungsvertrag vom 13. 8. 2020 als übertragende Gesellschaft mit der bisherigen Drittnebenintervenientin P***** GmbH als aufnehmender Gesellschaft verschmolzen worden. Die bisherige Drittnebenintervenientin ist damit Gesamtrechtsnachfolgerin der S***** GmbH geworden. Die Gesellschafterversammlung der bisherigen Drittnebenintervenientin hat am 14. 9. 2020 eine Änderung der Satzung beschlossen und die Firma der Gesellschaft auf S***** GmbH geändert. Die Parteienbezeichnung ist daher entsprechend zu ändern. Nach der Verschmelzung zwischen ehemals Dritt- und Viertnebenintervenientin ist die ehemals Fünftnebenintervenientin als Viertnebenintervenientin zu bezeichnen.

Zu B.

[3] I. Sachverhalt

[4] Die Klägerin ist eine österreichische Verwertungsgesellschaft, die für Werke der Tonkunst über eine aufrechte Betriebsgenehmigung mit der Befugnis zur treuhändigen Wahrnehmung von Senderechten auf dem Gebiet der Republik Österreich verfügt. Sie hat mit ausländischen Verwertungsgesellschaften Gegenseitigkeitsverträge abgeschlossen, so mit der GEMA in Deutschland, der BUMA in den Niederlanden, der PRS in Großbritannien und der SACEM in Frankreich.

[5] Die Beklagte mit Sitz in Luxemburg bietet gegen Entgelt in Österreich Programme zahlreicher Rundfunkunternehmen zu unterschiedlichen Paketen (Satellitenbouquets) gebündelt über Satellit in High Definition (HD) und Standard Definition (SD) verschlüsselt an. Ihren Kunden stellt sie mit Zustimmung der Sendeunternehmen Zugangsschlüssel zur Verfügung. Die Eingabe der jeweiligen programmtragenden Satellitensignale in die Kommunikationskette (Uplink) erfolgt zum überwiegenden Teil durch die Sendeunternehmen selbst und in ihrer Verantwortung, in wenigen Fällen durch die Beklagte, durchwegs jedoch nicht in Österreich, sondern in anderen EU-Mitgliedstaaten. Versendet wird ein Sendestream, in dem das gesamte Programm in HD-Qualität mitsamt allen zusätzlichen Informationen (wie Audiodaten, Untertiteldaten usw) enthalten ist. Der Stream wird mittels SAT-Empfangsanlage innerhalb des Sendegebiets empfangen. Dabei wird der Stream geteilt, und die einzelnen Programme werden über ein Endgerät dem Nutzer zugänglich. Wurden Programme mit einem Code verschlüsselt, müssen diese von der Empfangsanlage decodiert werden, um genützt werden zu können. Die Sendebouquets „entstehen“ durch die Kombination der Zugangsschlüssel. Durch die Nutzung der Bouquets werden den österreichischen Kunden der Beklagten Werke zugänglich gemacht, die im Repertoire der Klägerin enthalten sind. Die Bouquets beinhalten sowohl Pay- als auch Free-TV-Programme. Letztere sind im Hoheitsgebiet der Republik Österreich über Satellit ohnedies für jedermann in SD-Qualität zu empfangen. Eine (auch auf ihre hier zu beurteilenden Nutzungshandlungen bezogene) Rechteeinräumung vermochte die Beklagte im Verfahren – jedenfalls was einen beträchtlichen Teil ihres Programmangebots betrifft – nicht nachzuweisen. In Ansehung jener programmtragenden Satellitensignale, die in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland eingespeist werden, ließ sich auch nicht feststellen, ob die jeweils verantwortlichen Sendeunternehmen überhaupt Lizenzverträge mit den Verwertungsgesellschaften des Uplink-Staats abgeschlossen haben.

[6] II. Anträge und Vorbringen der Parteien

[7] Die Klägerin begehrt hinsichtlich eines Großteils der in den Bouquet-Angeboten der Beklagten enthaltenen Pay- und Free-TV-Programme die Unterlassung der Benutzung der Signale zur Weitersendung in Österreich sowie die Unterlassung der Sendung der Rundfunkprogramme über Satellit auf das Gebiet der Republik Österreich als Empfängerstaat ausgerichtet, wenn in dem Staat, in dem die Handlung der Sendung oder öffentlichen Wiedergabe über Satellit stattfindet, für diese Nutzung keine Bewilligung eingeholt wurde. Weiters begehrte sie im Rahmen einer Stufenklage Auskunftserteilung sowie angemessenes Entgelt und Schadenersatz. Sie habe der Signalweiterverbreitung bzw -übertragung, die einen zusätzlichen Kundenkreis der Beklagten bedient, keine Zustimmung erteilt. Die im Sendestaat getroffenen Vereinbarungen mit den Rundfunkunternehmen umfassten diesen Empfängerkreis nicht, weiters umfasse die Bewilligung zur Werknutzung (erteilt von den jeweiligen Verwertungsgesellschaften im Uplink-Staat) nicht die Verbreitung des Programms in HD. Da die Beklagte nicht über die erforderliche Bewilligung für die öffentliche Wiedergabe über Satellit in den jeweiligen Uplink-Staaten verfüge, komme das Privileg des Verwerters, lediglich im Uplink-Staat die Bewilligung einholen zu müssen, nicht zum Tragen. Abgesehen davon sei der Vorgang als integrale Kabelweiterverbreitung durch die Beklagte zu qualifizieren (§ 59a UrhG). Der Schaden durch die nicht lizenzierte Ausstrahlung trete in Österreich ein. Die Klägerin könne daher die Beklagte nach österreichischem Recht in Anspruch nehmen. Die Beklagte sei nicht bloß technischer Dienstleister, sie richte ihr Angebot in Gewinnerzielungsabsicht direkt an Kunden und handle dabei im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, wähle die Fernsehprogramme aus, bündle diese zu einem neuen audiovisuellen Produkt und...

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