Entscheidungs 5Ob168/19w. OGH, 30-04-2020

ECLIECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00168.19W.0430.000
Date30 Abril 2020
Record NumberJJT_20200430_OGH0002_0050OB00168_19W0000_000
Judgement Number5Ob168/19w
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F*****, 2. J*****, beide vertreten durch Mag. Michael Hirm, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Markus Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen (ausgedehnt) 1. Zahlung (1a. 154.806,74 EUR sA [Erstkläger], 1b. 142.590 EUR sA [Zweitkläger]), 2. Rente (Streitwerte 2a. 54.972 EUR [Erstkläger], 2b. 75.060 EUR [Zweitkläger]), 3. Feststellung (Streitwerte 3a. 50.000 EUR [Erstkläger], 3b. 10.000 EUR [Zweitkläger]), über die außerordentlichen Revisionen der Kläger, des Beklagten und der Nebenintervenientin auf Seiten des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. August 2019, GZ 3 R 39/19p-111, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen der Kläger, des Beklagten und der Nebenintervenientin auf Seiten des Beklagten werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Erstkläger ist der Witwer der D*****, der Zweitkläger ist deren beider Sohn. D***** wurde am 28. 7. 2014 in Tirol von der Rinderherde des Beklagten attackiert und getötet.

In einem Nebental werden mehrere Almen und die dort betriebenen Gastwirtschaften durch eine geschotterte öffentliche Gemeindestraße mit einem Fahrverbot (ausgenommen Anrainer) erschlossen. Die Verkehrsfrequenz betrug im Jahr 2014 ca 80 Fahrzeuge pro Tag, wobei diese am Eingang des Tals am höchsten war und zum Talschluss hin abnahm. Auf der Straße verkehrt im Sommer ein Shuttlebus mit Haltestellen bei den einzelnen Almen; dieser fährt zu fixen Zeiten im Linienverkehr einmal morgens und einmal am Nachmittag. Zusätzlich können bei dem Taxiunternehmen, welches das Shuttleservice anbietet, Sonderfahrten zu jeder Tageszeit gebucht werden. Die Straße wird auch von Radfahrern (Mountainbikern) und Wanderern benützt. Sehr viele Wanderer fahren etwa mit der von der Nebenintervenientin betriebenen Panoramabahn auf den nahegelegenen Berg und gehen dann zu Fuß (das letzte Stück auf der Straße) ins Tal.

Im mittleren Teil des Tals befindet sich das Almgebiet des Beklagten. Die Straße führt etwa 2–3 km durch dieses ca 50 ha große Almgebiet. Der Beklagte führt seinen Betrieb seit dem Jahr 2002 als Mutterkuhbetrieb. Im Jahr 2014 bestand seine Herde aus Rindern der Rasse „Tiroler Grauvieh“; es waren neun Mutterkühe mit Kälbern und eine weitere trächtige Kuh. Als Mutterkühe werden weibliche Rinder verstanden, die ihre Kälber in den ersten ca zehn Lebensmonaten direkt, also ohne den Zwischenschritt des Melkens durch den Menschen, ernähren. Die Mutterkuhhaltung wird wegen der vergleichsweise geringen Arbeitsbelastung als Haltungsform gewählt.

Das Vieh des Beklagten konnte sich im gesamten Almgebiet grundsätzlich frei bewegen. Allerdings betrieb der Beklagte ein Weidemanagement, um Qualität und Quantität der angebotenen Weide möglichst hoch zu halten. Dazu errichtete er unterschiedlich lange, durch das Gelände verlaufende Elektrozäune. Im Jahr 2014 bestanden auch noch andere Abzäunungen, die dazu dienten, das Eindringen des Viehs anderer Bauern in das Weidegebiet des Beklagten zu verhindern, sowie dazu, ein Quellschutzgebiet sowie sogenannte „Bergmähder“ zu schützen.

Das Almgebiet des Beklagten liegt überwiegend in steilem, teils bewaldetem Gelände. In dem weitgehend flachen Bereich der Alm befinden sich die Wohn- und Stallgebäude des Beklagten und das (nicht vom Beklagten geführte) „Alpengasthaus“. In deren Nähe treffen einander verschiedene Wanderwege. Der Bereich um die Almgebäude und das Gasthaus ist der am stärksten von Wanderern, Radfahrern und Fahrzeugen frequentierte Bereich im Weidegebiet. Im Alpengasthaus halten sich an schönen Tagen jeweils gleichzeitig 50–100 Gäste auf. Der unmittelbare Bereich rund um das Gasthaus und den nahe liegenden Kinderspielplatz war (auch schon) im Jahr 2014 eingezäunt, damit das Vieh des Beklagten nicht in diesen Bereich eindringen konnte. In dem Bereich um die Almgebäude und die Gastwirtschaft hielt sich das Vieh des Beklagten am häufigsten im gesamten Almgebiet auf. Seit der tödlichen Attacke auf D***** stellt der Beklagte auch in diesem Bereich entlang der Straße einen Elektrozaun auf. Für diese Abzäunung der Straße entlang der etwa 500 m langen Strecke von der Gastwirtschaft bis zu jenem Bereich, in welchem sich das Gelände wiederum versteilt, betragen die Materialkosten umgelegt auf das Jahr 218,80 EUR. An Arbeitszeit für den Aufbau dieses Zauns fallen höchstens zwei Arbeitstage an, der Abbau erfolgt binnen weniger Stunden. Durch das Aufstellen dieses Zauns wird der Weidebetrieb nicht beeinträchtigt.

Bei der Mutterkuhhaltung ist der Mutterinstinkt der Kühe deutlich stärker ausgeprägt als in der Milchviehhaltung. Mutterkühe reagieren vergleichsweise früh und intensiv, wenn sich Menschen und/oder Tiere deren Kälbern nähern. Auseinandersetzungen kommen insbesondere zwischen Hunden und Mutterkühen vor, weil Hunde aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Wölfen von Rindern als akute Bedrohung für ihre Jungtiere gesehen werden. Die instinktbedingte Aggression der Mutterkühe gilt also meist nicht dem Hundeführer, sondern dem Hund. Wird der Hund losgelassen, kann dieser üblicherweise flüchten und die Aufmerksamkeit der Mütterkühe bewegt sich meist vom Menschen weg. Wird der Hund nicht losgelassen oder versucht der Hundeführer, den Hund zu schützen, so richtet sich die Aggression vermehrt gegen den Hundeführer.

Im Jahr 2014 waren die Kühe des Beklagten vor allem, wenn sich Hunde in der Nähe befanden, besonders unruhig und aggressiv. Diese erhöhte Aggressivität war dem Beklagten ebenso bekannt wie das Ausmaß der touristischen Nutzung der Straße und der umliegenden Wanderwege insbesondere durch Wanderer (auch mit Hunden). Unter anderem bei dem südlichen das Weidegebiet begrenzenden Weiderost hat der Beklagte gut sicht- und lesbar folgenden Warnhinweis angebracht: „Achtung Weidevieh! Halten Sie unbedingt Distanz – Mutterkühe schützen ihre Kälber – Betreten und Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr“.

D***** wanderte am 28. 7. 2014 die Straße talauswärts und ging an dieser für sie wahrnehmbaren Warntafel vorbei. Gegen 15:00 Uhr erreichte sie die Gastwirtschaft auf der Alm des Beklagten. Ihren Hund, einen Kerry Blue Terrier, führte sie mit einer (gesamt) rund 2,5 m langen Leine, die sie um ihre Hüfte geschlungen und mit einem Karabiner fixiert hatte. Nachdem sie an dem Gasthof vorbeigegangen war, noch vor der Stelle, an der der von der Gastwirtschaft führende Fußweg in die Straße einmündet, ging sie an der Herde des Beklagten vorbei. Die Kuh, die der Straße am nächsten stand, war von dieser etwa 1 bis 2 m entfernt. D***** führte ihren Hund an der linken, also der Herde abgewandten Seite. Die Herde verhielt sich unauffällig, auch ihr Hund reagierte nicht auf die Herde und ging ruhig neben ihr her. Unmittelbar nach dem Passieren der Kühe wurden diese unruhig. Sie verfolgten D***** und kreisten sie von hinten kommend ein; sie wurde darauf erst aufmerksam, als die ersten Tiere neben ihr waren. Sie wurde von den Kühen mit den Hörnern geschubst, in die Luft geworfen und vom Weg abgedrängt. Der Angriff ging sehr rasch vonstatten, sie hatte keine Möglichkeit mehr, auf den Angriff noch ausweichend zu reagieren. Nach Beginn des Angriffs war es ihr auch nicht mehr möglich, die Leine von ihrer Hüfte zu lösen. Sie kam – etwa 60 m unterhalb des Gasthofs und wenige Meter abseits der Straße – am Boden zu liegen. Die Kühe führten laufend Angriffe auf sie und ihren Hund aus. Dem Hund gelang es, sich selbst zu befreien, er rannte davon. Ein Teil der Kühe folgte dem Hund, andere gingen weiterhin auf D***** los. Erst dem von einem Wanderer zu Hilfe gerufene Betreiber des Gasthofs gelang es, die Kühe zu vertreiben. Aufgrund von massiver Gewalteinwirkung auf den Brustkorb verstarb D***** nach diesen Attacken noch vor Ort.

Die Kläger stehen auf dem Standpunkt, den Beklagten treffe das Alleinverschulden am Tod ihrer Ehegattin und Mutter, weil er seine Pflichten als Tierhalter iSd § 1320...

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