Entscheidungs 5Ob183/16x. OGH, 27-06-2017

ECLIECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00183.16X.0627.000
Date27 Junio 2017
Record NumberJJT_20170627_OGH0002_0050OB00183_16X0000_000
Judgement Number5Ob183/16x
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20–22, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, Gemeinnützige Wohnbau- und Siedlungsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Prader, Ortner, Fuchs, Wenzel Rechtsanwälte Ges.b.R in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 34.900 EUR), über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Juni 2016, GZ 1 R 56/16v-23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Februar 2016, GZ 15 Cg 60/15y-17, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Übrigen bestätigt wird, wird dahin abgeändert, dass die klagsstattgebende Entscheidung des Erstgerichts betreffend die Klausel 4 und die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts betreffend die Klauseln 17 und 18 wiederhergestellt werden.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 523,38 EUR (darin enthalten 15,65 EUR USt und 429,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller Instanzen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist ein zur Unterlassungsklage nach § 29 Abs 1 KSchG berechtigter Verband. Die beklagte GmbH ist eine Bauvereinigung (BV) nach § 1 WGG. Sie tritt im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ganz Österreich regelmäßig in geschäftlichen Kontakt mit Verbrauchern iSd § 1 KSchG und verwendete zumindest bis zum Zeitpunkt der Abmahnung der klagenden Partei mit Schreiben vom 14. 7. 2014 im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Vertragsmuster, die unter anderem die noch umstrittenen Klauseln 1, 2, 4, 6, 11, 16, 17, 18, 19 und 20 enthielten.

Die Klägerin begehrt gestützt auf § 6 Abs 3 KSchG, § 879 Abs 3 ABGB, das MRG und das WGG Unterlassung und Urteilsveröffentlichung hinsichtlich dieser Klauseln.

Die Vorinstanzen entschieden teils klagsstattgebend, teils klagsabweisend. Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Wirksamkeit von Vertragsklauseln, welche gemeinnützige Bauvereinigungen bei Bestandverträgen verwendeten, zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen beider Parteien sind zulässig und teilweise berechtigt.

1. Voranzustellen sind folgende Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Verbandsprozess:

1.1 Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RIS-Justiz RS0016914). Weicht eine Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften ab, liegt eine gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn es für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung gibt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht. Die Beurteilung, ob eine Klausel den Vertragspartner gröblich benachteiligt, hat sich am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs zu orientieren (6 Ob 17/16t; 6 Ob 120/15p mwN).

1.2 Nach § 879 Abs 3 ABGB setzt die Inhaltskontrolle voraus, dass die zu prüfende Vertragsbestimmung nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt. Diese Ausnahme ist möglichst eng zu verstehen und soll auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben, sodass vor allem auch die im dispositiven Recht geregelten Fragen bei der Hauptleistung, also vor allem auch Ort und Zeit der Vertragserfüllung, nicht unter diese Ausnahme fallen (RIS-Justiz RS0016908). Die Ausnahme meint nur die individuelle zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen, nicht aber etwa Bestimmungen, die die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln oder die vertragstypische Leistung in allgemeiner Form näher umschreiben. Nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung ist der Kontrolle entzogen. Der Begriff der Hauptleistung ist möglichst eng zu verstehen (RIS-Justiz RS0016931).

1.3 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen. Der typische Verbraucher soll nicht von der Durchsetzung seiner Rechte dadurch abgehalten werden, dass ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird (RIS-Justiz RS0115217 [T3]) oder ihm unberechtigte Pflichten auferlegt werden (RIS-Justiz RS0115217 [T8]). Das Transparenzgebot erfasst die Erkennbarkeit und Verständlichkeit einer Klausel ebenso wie die Verpflichtung, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, dass Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RIS-Justiz RS0115217 [T12]). Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen Durchschnittskunden (RIS-Justiz RS0126158). Aus dem Transparenzgebot kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen in einer Klausel für den Kunden andernfalls unklar bleiben (RIS-Justiz RS0115219).

1.4 Die Auslegung von Klauseln hat im Rahmen einer Verbandsklage im „kundenfeindlichsten“, also im für den Verbraucher ungünstigst möglichen Sinn zu erfolgen (RIS-Justiz RS0016590). Auf eine etwaige bloß teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klauseln kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RIS-Justiz RS0038205).

1.5 Maßgeblich für die Qualifikation einer Klausel als eigenständig iSd § 6 KSchG ist nicht die Gliederung des Klauselwerks. Zwei unabhängige Regelungen können in einem Punkt oder sogar in einem Satz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (RIS-Justiz RS0121187).

2. Zu den einzelnen Klauseln:

3. Klausel 1:

Das Mietverhältnis beginnt spätestens am 1. Jänner 2015 und wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

Die Vermieterin wird den Mieter zumindest 6 Wochen vorher vom genauen Übergabetermin verständigen.

3.1 Nach Meinung der Klägerin besteht zwischen den beiden Sätzen dieser Klausel ein eindeutiger Regelungszusammenhang. Die Klausel ermögliche einen früheren Leistungsaustausch (vor dem 1. 1. 2015), verpflichte die Vermieterin zur entsprechenden Mitteilung aber erst sechs Wochen zuvor. Habe der Mieter etwa bei seiner alten Wohnung eine längere Kündigungsfrist, müsse er teilweise für denselben Zeitraum zwei Mieten bezahlen, was ihn iSd § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteilige.

3.2 Die Beklagte betrachtet die beiden Sätze als jeweils eigenständige, den Mieter nicht gröblich benachteiligende Klauseln. Die Mietverträge würden zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, zu dem die Wohnanlage noch nicht fertiggestellt sei. Die vergleichbare Bestimmung des § 4 Abs 1 Z 5 BTVG mute einem Erwerber zu, einen spätesten Übergabetermin zu akzeptieren. Dies müsse in gleicher Weise auch für Mieter einer BV gelten.

3.3 Die Vorinstanzen hielten die Klausel übereinstimmend für zulässig. Nach dem Verständnis des Berufungsgerichts ermöglicht die nicht isoliert zu betrachtende Klausel der BV, einseitig Vertragsbeginn und Übergabezeitpunkt festzulegen. WGG, MRG und ABGB regelten den Beginn eines Bestandverhältnisses nicht ausdrücklich. § 4 Abs 1 Z 5 BTVG rechtfertige als analog heranzuziehende dispositive Bestimmung nicht die einseitige frühere Festsetzung des Beginns des Mietverhältnisses und der Mietzinszahlungsverpflichtung. Diese Bestimmung regle zwar als notwendigen Inhalt eines Bauträgervertrags die Festlegung des spätesten Übergabetermins des Vertragsgegenstands. Das BTVG verfolge allerdings vorrangig den Zweck, Erwerber eines erst zu errichtenden oder durchgreifend zu erneuernden Objekts vor dem – etwa durch eine Insolvenz des Bauträgers verursachten – Verlust von Vorauszahlungen zu schützen, wenn es in der Folge nicht zum Bau oder zu seiner Fertigstellung komme. Tatsächlich gehe es hier einzig um die Frage, wer wirtschaftlich dafür aufzukommen habe, dass die von der BV errichtete Wohnanlage früher fertiggestellt werde. Ein früherer Beginn könnte für den Mieter wirtschaftlich nachteilig sein, wenn er mangels der früheren Möglichkeit, seine alte Wohnung zu kündigen, für eine Übergangsfrist von einigen Wochen einen doppelten Mietzins zahlen müsste. Bei einer früheren Fertigstellung ohne vorzeitigen Mietbeginn müsse die BV Kosten und Verzinsung für den Fremdmitteleinsatz tragen, ohne dafür Entgelt nach § 14 WGG für die Gebrauchsüberlassung zu erhalten. Das unternehmensbezogene Kostendeckungsprinzip des WGG verpflichte die BV zur Überwälzung aller Finanzierungskosten und könne als sachliche Rechtfertigung für die Klausel angesehen werden. Nach § 1413 ABGB dürfe ein Schuldner nicht zu einer von der vertraglichen Verpflichtung abweichenden Leistung verpflichtet werden. Die Bestimmung sei jedoch auf Dauerschuldverhältnisse wie Bestandverträge und den Beginn eines Mietvertrags nicht anwendbar.

3.4 Die Klägerin sieht in der Revision...

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