Entscheidungs 5Ob86/19m. OGH, 20-02-2020

ECLIECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00086.19M.0220.000
Record NumberJJT_20200220_OGH0002_0050OB00086_19M0000_000
Judgement Number5Ob86/19m
Date20 Febrero 2020
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. hc M*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier, Mag. Michael Pfleger ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Dr. S*****, vertreten durch die Riedl – Ludwig – Penzl, Rechtsanwälte GmbH, Haag, wegen 105.340 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. März 2019, GZ 15 R 22/19v-71, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. November 2018, GZ 24 Cg 62/16i-65, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts ausgenommen von dessen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile waren von Ende März 2008 bis Anfang April 2016 Lebensgefährten. Am 20. 3. 2012 erlitt der Kläger eine Hirnstammblutung und befand sich in der Folge in Intensiv- und danach bis Anfang August 2012 in Rehabilitationsbehandlung; anschließend kehrte er in die gemeinsame Wohnung zurück. Der Kläger war und ist pflegebedürftig. Er leidet an einer eingeschränkten Sehfähigkeit, einer mittelgradigen spastischen Lähmung aller Extremitäten mit dem Fehlen zielgerichteter Bewegungen. Alle Pflegehandlungen und Aktivitäten des täglichen Lebens müssen für den Kläger vorgenommen werden, auch wenn ihm einzelne Bewegungen möglich sind.

Die Beklagte verbrachte bereits ab Beginn der Rehabilitationsbehandlung viel Zeit beim Kläger und erbrachte danach bis zum Ende der Lebensgemeinschaft für ihn umfangreiche Pflege- und Betreuungsleistungen.

Nach Ende der Beziehung (5. 4. 2016) behielt die Beklagte einen Betrag von 163.840 EUR aus dem Vermögen des Klägers für sich, weil sie die Ansicht vertrat, dass ihr dieser Betrag für die erbrachten Leistungen zustünde. Davon zahlte sie 58.500 EUR am 26. 8. 2016 an den Kläger zurück.

Der Kläger begehrt die Zahlung des restlichen Betrags von 105.340 EUR sA.

Die Beklagte wendete eine Gegenforderung bis zur Höhe dieses Betrags ein.

Der Kläger habe wegen der Hirnstammblutung einer intensiven Pflege nahezu rund um die Uhr bedurft, die sie bis zum dem Ende der Lebensgemeinschaft am 5. 4. 2016 erbracht habe. Sie habe zum Teil unter Aufopferung ihrer eigenen Berufstätigkeit und beruflichen Karriere als Ärztin und jeglicher persönlicher Freizeit und Lebensqualität den Kläger bestmöglich betreut, gepflegt und unterstützt. Nach Aufnahme ihrer Berufstätigkeit sei sie regelmäßig zwischen 13:30 Uhr und 14:00 Uhr heimgekommen und ab dann für den Kläger zur Verfügung gestanden. Es sei eine permanente Pflege intensivster Art erforderlich gewesen; die von ihr erbrachte Pflege sei vom Kläger auch gewünscht und jedenfalls zu seinem Vorteil erbracht worden. Die von ihr erbrachte Pflege gehe weit über das hinaus, was im Rahmen einer Lebensgemeinschaft üblicherweise als Unterstützung geleistet werde. Für den 27. 9. 2015 sei die Hochzeit mit dem Kläger fix geplant und vorbereitet gewesen und nur auf Druck seiner Eltern nicht zustande gekommen.

Sie habe für den Kläger Pflegeleistungen im Ausmaß von rund 18.000 Stunden erbracht, wovon sie 4.400 Stunden für jenes Ausmaß abziehe, in dem eine Hilfe und Pflege im Rahmen einer Lebensgemeinschaft üblicherweise erwartet werden dürfe. Die verbleibenden 13.600 Stunden seien mit einem Mischsatz zwischen 12 EUR und 22 EUR zu multiplizieren. Vom Ergebnis sei ein Betrag von 15.000 EUR für diverse Leistungen, die sie während aufrechter Lebensgemeinschaft bereits erhalten habe, abzuziehen, sodass ihre insgesamt 148.200 EUR zustünden, die sie bis zur Höhe der Klageforderung compensando einwende.

Der Kläger bestritt die Gegenforderung und erwiderte, dass die Betreuungsleistungen der Beklagten nicht über jene Leistungen hinausgegangen seien, die im Rahmen einer Lebensgemeinschaft unentgeltlich üblicherweise erbracht würden. Es sei keine intensive Pflege rund um die Uhr erforderlich gewesen. Werktags sei ein (externer) Assistenzdienst tätig geworden. Bei Nacht- und/oder Wochenenddiensten der Beklagten seien die Betreuungsleistungen von seinen Eltern übernommen worden. Die Beziehung der Streitteile sei anfangs harmonisch verlaufen; zuletzt habe die Beklagte Psychoterror betrieben und schwere Repressalien angedroht, wenn nicht das gemacht werde, was sie verlange. Die von der Beklagten erstellte Stundenberechnung sei völlig lebensfremd. Ab März 2014 hätten die Streitteile hin und wieder über eine (ausschließlich) kirchliche Hochzeitszeremonie gesprochen, eine standesamtliche Eheschließung sei jedoch mittelfristig weder besprochen noch erörtert worden. Die kirchliche Trauungszeremonie habe die Beklagte abgesagt.

Das Erstgericht stellte das Klagebegehren mit 105.340 EUR und die Gegenforderung mit 57.708 EUR als zu Recht bestehend fest, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 47.632 EUR und von 4 % Zinsen aus diesem Betrag seit 6. 6. 2016 sowie aus 58.500 EUR von 6. 6. 2016 bis 25. 8. 2016 und wies das Mehrbegehren von 57.708 EUR sA ab. Dabei ging es von nachstehenden Feststellungen aus:

Die Streitteile waren zu Beginn ihrer Lebensgemeinschaft Medizinstudenten und lebten zunächst in Wien als Studenten zusammen. Ihr Beziehung verlief zumindest bis Herbst 2015 harmonische.

Nachdem der Kläger am 20. 3. 2012 schicksalshaft eine Hirnstammblutung erlitten hatte, verbrachte er rund einen Monat auf der Intensivstation und befand sich dann bis 27. 6. 2012 weiter im Spital, wo mit der Rehabilitation begonnen wurde. Von 28. 6. bis 8. 8. 2012 war er in einem neurologischen Therapiezentrum und kehrte dann in die Studentenwohnung zur Beklagten zurück. Zu den ambulanten Nachbehandlungsterminen fuhr die Beklagte den Kläger und absolvierten sie gemeinsam. Seit der Hirnstammblutung ist der Kläger auf einen Rollstuhl und umfassende Pflege angewiesen. Er bezieht Pflegegeld der Stufe 7.

Soweit es ihr möglich war, war die Beklagte beim Kläger. Obwohl sowohl im Spital als auch im Rehabilitationszentrum fachkundiges Personal die Pflege des Klägers vornahm, übernahm die Beklagte während dieser Zeit die Körperpflege im Bett, nahm...

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