Entscheidungs 6Ob35/21x. OGH, 15-04-2021
Court | Oberster Gerichtshof (Österreich) |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00035.21X.0415.001 |
Date | 15 s 2021 |
Judgement Number | 6Ob35/21x |
Record Number | JJT_20210415_OGH0002_0060OB00035_21X0000_001 |
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Kodek, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Pertmayr sowie MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. O*****, Rechtsanwalt, *****, gegen die beklagte Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 1.000 EUR sA, im Verfahren über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2020, GZ 14 R 143/20g-24, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Juli 2020, GZ 8 Cg 34/20h-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erfordert der Zuspruch von Schadenersatz nach Art 82 DSGVO (Verordnung [EU] 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG [Datenschutz-Grundverordnung]) neben einer Verletzung von Bestimmungen der DSGVO auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat oder reicht bereits die Verletzung von Bestimmungen der DSGVO als solche für die Zuerkennung von Schadenersatz aus?
2. Bestehen für die Bemessung des Schadenersatzes neben den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz weitere Vorgaben des Unionsrechts?
3. Ist die Auffassung mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Voraussetzung für den Zuspruch immateriellen Schadens ist, dass eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht vorliegt, die über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
[1] I. Sachverhalt
[2] Die Beklagte verfügt über eine Gewerbeberechtigung als Adressenverlag und war zehn Jahre lang als Adresshändlerin mit dem Ziel tätig, ihren werbetreibenden Kunden den zielgerichteten Versand von Werbung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang erhob sie seit 2017 Informationen zu den Parteiaffinitäten der gesamten österreichischen Bevölkerung. Meinungsforschungsinstitute führten dazu anonyme Umfragen durch, bei denen konkrete Fragen zum Interesse an Wahlwerbung gestellt wurden. Die Ergebnisse kombinierte die Beklagte mit Statistiken aus Wahlergebnissen, um letztlich mit Hilfe eines Algorithmus „Zielgruppenadressen“ nach soziodemografischen Merkmalen zu definieren, denen meistens über hundert Personen zugeschrieben wurden. Die einzelnen Personen wurden je nach Wohnort, Alter, Geschlecht usw einer oder mehreren Marketinggruppen und -klassifikationen zugeordnet. Dafür kaufte die Beklagte auch Adressdaten von anderen Adresshändlern oder aus Kunden- und Interessentendateien von Unternehmen zu. Diese Daten wurden an verschiedene Organisationen verkauft.
[3] Betreffend den Kläger wurden von der Beklagten folgende Daten verarbeitet, jedoch nicht an Dritte weitergegeben:
Feldbezeichnung |
generiert |
Datensatz |
... |
... |
... |
Mögliche Zielgruppe für Wahlwerbung ÖVP |
statistisch hochgerechnet |
sehr niedrig |
Mögliche Zielgruppe für Wahlwerbung Neos |
statistisch hochgerechnet |
sehr niedrig |
Mögliche Zielgruppe für Wahlwerbung Grüne |
statistisch hochgerechnet |
niedrig |
Mögliche Zielgruppe für Wahlwerbung FPÖ |
statistisch hochgerechnet |
hoch |
… |
… |
… |
[4] Der Kläger, der keine Einwilligung zur Datenverarbeitung erteilt hatte, war über die Speicherung seiner Daten zur Parteiaffinität verärgert. Zusätzlich erbost und beleidigt war der Kläger über die ihm seitens der Beklagten zugeschriebene „hohe Affinität“ zur FPÖ. Das Vorgehen der Beklagten beschäftigte ihn nochmals anlässlich der Verfahrensvorbereitung. Andere, nicht bloß vorübergehende gefühlsmäßige Beeinträchtigungen konnten nicht festgestellt werden.
[5] II. Parteienvorbringen
[6] Der Kläger begehrt – soweit im vorliegenden Verfahrensstadium noch relevant – die Zuerkennung von Schadenersatz in Höhe von 1.000 EUR. Ein Sympathisieren mit Parteien des rechten Randes liege ihm fern, weshalb die ihm zugeordnete Parteiaffinität eine Beleidigung und beschämend sowie im höchsten Maß kreditschädigend sei. Das Verhalten der Beklagten habe bei ihm großes Ärgernis und einen Vertrauensverlust ausgelöst, aber auch ein Gefühl der Bloßstellung. Aufgrund des großen inneren Ungemachs stehe ihm ein Ersatzanspruch von 1.000 EUR für den immateriellen Schaden zu.
[7] C. Bisheriges Verfahren
[8] Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Zahlungsbegehren ab.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und führte zum Schadenersatzbegehren aus, in ErwGr 146 zur DSGVO sei festgehalten, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden sollte, die den Zielen dieser Verordnung im vollen Umfang entspricht. ErwGr 85 nenne Beispiele für immaterielle Schäden aufgrund einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten, etwa Verlust der Kontrolle der personenbezogenen Daten...
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