Entscheidungs 6Ob37/18m. OGH, 24-05-2018

ECLIECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00037.18M.0524.000
Judgement Number6Ob37/18m
Date24 Mayo 2018
Record NumberJJT_20180524_OGH0002_0060OB00037_18M0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie durch die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Dr. A***** P*****, vertreten durch die Scheer Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. Dr. W***** S*****, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in Wien, wegen 136.793,91 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2017, GZ 4 R 96/17t-31, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24. April 2017, GZ 34 Cg 15/16m-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird so abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei

a) die mit 15.432,42 EUR (darin enthalten 2.572,07 EUR USt und 19,70 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens,

b) die mit 3.680,23 EUR (darin enthalten 613,37 EUR USt) bestimmten Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens und

c) die mit 8.194,06 EUR (darin enthalten 411,51 EUR USt und 5.725 EUR an Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Rechtsanwälte. Sie gründeten im Jahr 2002 eine Rechtsanwälte OG (in der Folge „OG“). Der Beklagte kündigte diese Gesellschaft im Mai 2013 zum 31. 12. 2013 auf. Der Kläger übernahm das Vermögen der OG gemäß § 142 UGB; die OG ist mittlerweile im Firmenbuch gelöscht.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 136.793,91 EUR sA. Der Beklagte habe von zwei Anderkonten der OG eigenmächtig Fremdgelder von Mandanten in Klagshöhe abgehoben. Beim Klagsbetrag handle es sich um der OG nicht gehörendes Vermögen. Eine Aufrechnung des Beklagten sei, da es sich um Fremdgelder der Mandanten handle, unzulässig. Eine Aufrechnung des Fremdgeldes gemäß § 19 RAO wäre überhaupt nur durch die OG gegenüber deren Mandanten denkbar, nicht aber für (vermeintliche) Forderungen eines Gesellschafters gegenüber der OG.

Der Beklagte wendete ein, vom einen Anderkonto habe er Fremdgelder seiner eigenen Mandanten behoben, um sie diesen auszuzahlen. Das andere Konto sei kein Fremdgeldkonto, sondern ein Honorarkonto gewesen, über das der Beklagte verfügen habe dürfen. Der Beklagte wendete Gegenforderungen von insgesamt 136.793,91 EUR ein, die sich aus einer Abrechnung, aus Fremdgeldzahlungen eigener Mandanten, vorgestreckte Gehaltszahlungen für Mitarbeiter und einem Steuerberatungshonorar zusammensetzen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Tatsachenfeststellungen:

Die OG hatte bei einer Bank ein als „Sammelanderkonto“ bezeichnetes Konto mit der Nummer ***** (im Folgenden: „Konto 1“). Dabei handelte es sich um das Hauptfremdgeldkonto, das im Jahr 2002 eröffnet wurde.

Die Streitteile hatten die Idee, eine Solidargemeinschaft für Anlegergeschädigte zu gründen. Sie setzten eine Vereinbarung für eine Solidargemeinschaft auf, die folgendermaßen lautete:

„Vereinbarung

zur Solidargemeinschaft

A*****-Geschädigte

5.11.2010

Ziel der Gründung dieser Solidargemeinschaft ist der Zusammenschluss von A*****-Geschädigten, um von Haftungsadressaten, denen Versäumnisse vorzuwerfen sind, Geld zurückzubekommen.

Ich schließe mich der Solidargemeinschaft für A*****-Geschädigte an und erkläre mich bereit, für die angeführten Leistungen die auf mich anteilig entfallenden Kosten zu tragen. Die Kosten wurden mir bekannt gegeben und erkläre ich mich mit der Höhe einverstanden. Hiermit verpflichte ich mich, meine zu tragenden Kosten binnen 14 Tagen nach Unterfertigung dieser Beitrittserklärung auf das Kanzleikonto ***** [im Folgenden: 'Konto 2'], BLZ ***** zu überweisen.

Die anteilig zu tragenden Kosten sind auch bei einer aufrechten Rechtsschutzversicherung vorab auf das Kanzleikonto zu überweisen und wird die [...] OG im Laufe des Verfahrens mit allen Rechtsschutzversicherungen die Kostendeckung klären.

Die Interessen des Einzelnen werden erst nach Eingang der auf ihn entfallenden anteiligen Kosten wahrgenommen.

Mit Unterfertigung dieser Punktation bevollmächtige und ermächtige ich die [...] OG, [Adresse], mit dem Einbringen der Klage und der Prozessführung im Hinblick auf folgende Haftungsadressaten:

• die Republik Österreich: von Konzessionspflicht gewusst und nichts unternommen, von einer Anzeige abgesehen, obwohl Kurse 'unüblich und willkürlich"'

• die Raiffeisenbezirksbank Klagenfurt: kollusives Zusammenwirken mit der A***** AG, Interessenskonflikt hervorgerufen und nicht verhindert

• den Wirtschaftsprüfer E*****: Prospektkontrollor, obwohl Ausschließungsgrund vorlag, Änderung der Genussscheinbedingungen 2001 zugelassen, zulasten des Anlegers

• den Steuerberater Dr. B*****: Gegenwert für Genussrechte der A***** AG hat sich in den Jahresabschlüssen nie manifestiert, AvW Invest AG ohne Provisionserträge nicht überlebensfähig

• die Vorstände der A***** AG und A***** AG: Jahresergebnisse der A***** AG mal zu hoch, mal zu niedrig ausgewiesen, überhöhte Provisionszahlungen zulasten der Genussscheininhaber

• die Aufsichtsräte der A***** AG und A***** AG: Kursmanipulation nicht verhindert, unzulässige Vermögensverschiebungen

Ich erkläre mich mit meiner Unterschrift einverstanden, dass die [...] OG nach folgendem Prozedere vorgeht:

1) Einbringen einer Klage im Namen von einigen Teilnehmern der Solidargemeinschaft je Haftungsadressat oder das Führen von Musterprozessen. Diese Teilnehmer werden von der [...] OG ausgewählt.

2) Für diejenigen Teilnehmer, für die keine Klage eingebracht wird, wird die [...] OG versuchen einen Verjährungsverzicht gegenüber allen Haftungsadressaten zu erwirken.

3) Der bekannt gegebene Kostenschlüssel beinhaltet die Kosten für jeden einzelnen Teilnehmer. Diese Kosten decken die Verfahrenskosten der Kläger bis zum Obersten Gerichtshof und für den Fall des Unterliegens auch jene des/der Beklagten, ausgenommen nicht vorhersehbare Kosten (zB außergewöhnliche Sachverständigenkosten). Diese werden nach der Investitionssumme anteilig durch die Teilnehmer getragen und erklären sich diese damit einverstanden.

Der Kostenschlüssel setzt sich folgender Maßen zusammen:

Investiertes Kapital Beitrag zur Solidargemeinschaft

Bis € 10.000 € 900,-

€ 10.000 – 30.000 € 1.500,-

€ 30.000 – 50.000 € 1.900,-

€ 50.000 – 80.000 € 2.500,-

€ 80.000 – 100.000 € 2.900,-

€ 100.000 – 150.000 € 3.500,-

€ 150.000 – 200.000 € 3.900,-

€ 200.000 – 300.000 € 4.500,-

Über € 300.000 € 5.000,-

4) Die Solidargemeinschaft ist ein Zusammenschluss von A*****-Geschädigten und wird durch die Einberufung einer Solidargemeinschaftssitzung beschlussfähig. Diese wird zu Beginn der Solidargemeinschaft und dann bei Bedarf durch die [...] OG einberufen. Die Mitteilung über die Einberufung hat an alle Teilnehmer der Solidargemeinschaft schriftlich zu ergehen. Eine bestimmte Anzahl von Anwesenden der Teilnehmer in der Solidargemeinschaftssitzung ist nicht erforderlich; die Anwesenheit aber erwünscht.

5) Für die Auflösung der Solidargemeinschaft bedarf es einer einfachen Mehrheit bei einer Anwesenheit der Hälfte der Teilnehmer.

6) Ich bin damit einverstanden, dass die jeweils zu führenden Prozesse mit einem Streitwert von ca. € 31.000,- pro Prozess geführt werden.

7) Gemäß § 21a RAO wird eine Haftungshöchstgrenze der [...] OG je Schadensfall bis zu einem Höchstbetrag von € 500.000,--...

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