Entscheidungs 7Ob111/12t. OGH, 26-09-2012

ECLIECLI:AT:OGH0002:2012:0070OB00111.12T.0926.000
Judgement Number7Ob111/12t
Date26 Septiembre 2012
Record NumberJJT_20120926_OGH0002_0070OB00111_12T0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Assurance, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Eduard Klingsbigl, Dr. Robert Lirsch, Mag. Florian Masser und Mag. Ernst Wimmer, Rechtsanwälte in Wien, wegen 355.784 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. März 2012, GZ 5 R 279/11b-23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 22. September 2011, GZ 43 Cg 45/10f-17, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das hinsichtlich des Teilzuspruchs von 2.048,67 EUR sA in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich der noch strittigen Klagsforderung von 353.735,33 EUR sA dahin abgeändert, dass insoweit das klagsstattgebende Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 19.151,19 EUR (darin enthalten 13.316,65 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Transportversicherer eines Konzerns, wobei die österreichische B***** GmbH & Co KG (kurz: B*****) im Rahmen dieser Polizze mitversichert ist. B***** beauftragte die Beklagte am 27. 1. 2009 mit einem Arzneimitteltransport von Wien nach Litauen. Die Arzneimittel kamen am 2. 2. 2009 tiefgefroren beim Empfänger an. Die Klägerin bezahlte an ihre Versicherte B***** am 21. 4. 2009 als Schadensbetrag 355.784 EUR, wodurch die Ansprüche gegen die Beklagte an sie übergingen.

Seit dem Jahr 2000 beauftragte B***** die Beklagte regelmäßig mit Arzneimitteltransporten. Im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung schlossen B***** und die Beklagte am 2. 4. 2007 eine Qualitätssicherungsvereinbarung, die für sämtliche durchgeführte Transporte von Arzneimitteln gilt. Darin verpflichtete sich die Beklagte als „Auftragnehmer“, während der gesamten Laufzeit des jeweiligen Auftrags die Qualität der mit B***** als „Auftraggeber“ vereinbarten Dienstleistungen sicherzustellen, wobei die Beklagte ein regelmäßiges Qualitätsmanagement-System mit diversen, näher bestimmten Maßnahmen und Zertifizierungen aufrecht erhalten muss.

B***** richtete am 27. 1. 2009 einen mit 22. 1. 2009 datierten Transportauftrag an die Beklagte. Darin angeführt waren die Abholadresse in Wien sowie der Warenempfänger in Litauen. Als Ladedatum wurde der 27. 1. 2009 und als Versand- und als Ankunftsdatum der 29. 1. 2009 angegeben. Als Versandbedingung stand der Begriff „Air“. Als Auftragswert wurde „ca 355.784 EUR“ angeführt. Im letzten Feld des Transportauftragsformulars wurden folgende Unterlagen aufgelistet: „Warenbegleitpapiere; Rechnung 1-fach; Packliste 1-fach; Analysenzertifikate“.

Dem Transportauftrag an die Beklagte wurde die in der Auflistung angesprochene Rechnung an den Empfänger beigefügt, in der mehrmals die Arzneimittel Actilyse und Metalyse sowie jeweils die Weisung „Avoid extreme temparature do not freeze“ angeführt waren. Aus der Rechnung ergab sich der Kaufpreis der zu transportierenden Arzneimittel von insgesamt 355.784 EUR.

Die Beklagte stellte am 27. 1. 2009 den Luftfrachtbrief aus. Dieser enthielt die Daten von B*****, des litauischen Empfängers und der Beklagten als „Carrier“. Der Transportweg war wie folgt angeführt: Wien-Frankfurt-Vilnius; auch die beiden Flugnummern der Fluglinie wurden genannt. Der Luftfrachtbrief enthielt folgende Anweisung: „Ship to: [litauische Adresse]“. Zwei Mal wurde der Dringlichkeitsvermerk „Delivery latest on Friday, 30. 01. 2009“ gesetzt. Die Warenangabe lautete „Pharmaceuticals - not restricted“, wobei auf die Begleitdokumente ausdrücklich hingewiesen wurde („One envelope with docs attached to AWB“). Der litauische Empfänger („Consignee“) sollte sofort nach Ankunft kontaktiert werden.

Nicht festgestellt werden konnte, ob und in welcher Form auf der Verpackung darauf hingewiesen wurde, dass das Liefergut keinen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt werden dürfe.

Am 27. 1. 2009 wurde die Ware samt den Begleitpapieren im Original von der Ladeadresse in Wien mittels Lkw zum Lager der Beklagten am Flughafen Schwechat gebracht, wo sie für die Abfertigung geprüft und vorbereitet wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten die gesamte schriftliche Dokumentation über die zu befördernden Arzneimittel vor, die ihr von B***** zur Kenntnis gebracht wurden. Der Beklagten war es daher möglich, während der gesamten Transportstrecke bis zur Ablieferung in Litauen für die Einhaltung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Schäden am Transportgut Sorge zu tragen. Bei Unklarheiten hätte die Beklagte auch unverzüglich Weisung von B***** einholen oder Rücksprache halten können.

Die Ware wurde zunächst mittels Luftbeförderung durch eine Fluglinie nach Frankfurt gebracht. In Frankfurt wurde zu diesem Zeitpunkt gerade gestreikt. Deshalb wurden die Arzneimittel von der Fluglinie bis zum 30. 1. 2009 eingelagert, wobei im Lager in Frankfurt Temperaturen zwischen 5 und 10° Celsius herrschten. Am 30. 1. 2009 wurde die Ware dann mittels Luftfracht weiter nach Vilnius befördert, wo sie von einem Speditionspartner der Beklagten vom Flughafen abgeholt und in ein unbeheiztes Zwischenlager verbracht und dort eingelagert wurde.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Empfänger der Ware zugesagt hatte, diese vom Flughafen in Vilnius selbst abzuholen. Am 30. 1. 2009 (einem Freitag) war die Zustellung an den Empfänger nicht mehr möglich. In der Zeit vom 30. 1. bis 2. 2. 2009 herrschten in Vilnius Außentemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Auf Grund der unbeheizten Zwischenlagerung und der Außentemperaturen weit unter null Grad Celsius wurden die eingelagerten Medikamente während dieses Zeitraums tiefgefroren. Am 2. 2. 2009 (Montag) wurden die Arzneimittel an den litauischen Empfänger mittels Lkw geliefert und tiefgefroren übergeben. Durch das Einfrieren verloren die gelieferten Arzneimittel zur Gänze ihre Verkehrsfähigkeit und durften daher nicht mehr verwendet werden.

Mit Schreiben vom 5. 2. 2009 machte B***** die Beklagte für den Schaden auf Grund der Temperaturunterschreitung haftbar. Als Schadensbetrag wurde der Rechnungsbetrag von 355.784 EUR angeführt.

Die Beklagte stellte B***** per 13. 2. 2009 für die Leistung „Luftfracht“ nach Litauen (samt Zuschlägen für die Fluglinie) insgesamt 605,64 EUR in Rechnung. Damit verrechnete sie das Entgelt für den gesamten Transportweg.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 355.784 EUR sA und brachte dazu im Wesentlichen vor, die Beklagte habe als regelmäßig beauftragtes Transportunternehmen bestätigt, dass ihr die EU-Leitlinien für die „Gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln“ inhaltlich bekannt seien. Dabei habe sie sich unter anderem verpflichtet, während des Transports zu beachten, dass die Arzneimittel sicher und weder in unvertretbarem Maß Hitze, Kälte, Licht, Feuchtigkeit noch einem anderen schädlichen Einfluss ausgesetzt seien. Weiters sollten die Arzneimittel, die bei kontrollierter Temperatur gelagert werden müssen, auch unter geeigneten Vorkehrungen befördert werden.

Am 22. 1. 2009 sei die Beklagte mit dem Transport der Lieferung beauftragt worden. Beigefügt - und per Fax übersandt - seien neben Analysezertifikaten auch eine Packliste und insbesondere die Rechnung gewesen, die unübersehbar die Warnung „Avoid extreme temperature do not freeze“ enthalten habe. Die Rechnung sei zeitgleich mit dem Transportauftrag übermittelt worden, weshalb die Weisung „Avoid extreme temperature do not freeze“ auch für die Beklagte gedacht gewesen sei. Solche Weisungen seien nicht nur für den Empfänger, sondern gerade für den Transporteur hauptsächlich bestimmt, weil auf dem Transportweg erfahrungsgemäß das größte Schädigungsrisiko bestehe. Die Ware habe den Empfänger tiefgefroren erreicht. Es liege ein Totalschaden vor. Da Medikamente nicht Temperaturen von bis minus 20 Grad ausgesetzt werden dürften, liege grobe Fahrlässigkeit vor. Der gesamte Transport bis zum Empfänger in Litauen sei im Verantwortungsbereich der...

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