Entscheidungs 8Ob106/20a. OGH, 25-03-2021
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00106.20A.0325.000 |
Record Number | JJT_20210325_OGH0002_0080OB00106_20A0000_000 |
Judgement Number | 8Ob106/20a |
Date | 25 Marzo 2021 |
Court | Oberster Gerichtshof (Österreich) |
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert: 36.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 29.222,22 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. September 2020, GZ 33 R 26/20s-16, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. November 2019, GZ 39 Cg 2/19s-10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.569,60 EUR (darin enthalten 261,60 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist ein nach § 29 KSchG klageberechtigter Verband.
[2] Die Beklagte betreibt bundesweit das Bankgeschäft und ist Unternehmerin im Sinn des § 1 KSchG. Sie tritt im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit laufend mit Verbrauchern in rechtsgeschäftlichen Kontakt und schließt mit ihnen unter anderem Rahmenverträge für Girokonten und Kreditverträge. Hierfür verwendet sie Allgemeine Geschäftsbedingungen und/oder Vertragsformblätter, welche die strittigen Klauseln enthalten.
[3] Der Kläger begehrte die Unterlassung der Verwendung der beanstandeten Klauseln sowie die Urteilsveröffentlichung in einer bundesweit erscheinenden Samstags-Ausgabe der „Kronen-Zeitung“ und brachte im Wesentlichen vor, dass die Klauseln gegen gesetzliche Verbote, insbesondere gegen das ZaDiG 2018, und gegen die guten Sitten verstoßen würden. Einige Klauseln seien zudem nicht ausreichend transparent.
[4] Die Beklagte entgegnete, die beanstandeten Klauseln seien ausreichend klar formuliert, nicht gröblich benachteiligend und stünden mit dem Gesetz sowie den guten Sitten im Einklang. Im Falle einer Stattgebung der Klage sei die Unterlassungspflicht der Beklagten nach dem gesetzlichen Umfang gemäß § 28 Abs 1 Satz 2 KSchG zu beschränken und eine Leistungsfrist von sechs Monaten zur Erfüllung ihrer Unterlassungsverpflichtung einzuräumen. Die Veröffentlichung des Urteils in einem Massenmedium wäre weit überschießend und in einem Printmedium aufgrund des Adressatenkreises nicht sachgerecht.
[5] Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren (unter Setzung einer Leistungsfrist von sechs bzw drei Monaten) und dem Veröffentlichungsbegehren in Bezug auf 15 Klauseln (Klauseln 1 bis 15) statt und wies das Klagebegehren (zwischenzeitig rechtskräftig) in Bezug auf drei Klauseln (Klauseln 16 bis 18) ab.
[6] Das Berufungsgericht unterbrach das Verfahren in Ansehung der Klausel 1 zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das vom Obersten Gerichtshof zu 8 Ob 24/18i gestellte Vorabentscheidungsersuchen. Im Übrigen gab es der Berufung der Beklagten hinsichtlich der Klauseln 2 bis 15 nicht Folge.
[7] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Entscheidung eine Vielzahl von Verbrauchern unmittelbar betreffe und auch wesentliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO umfasse.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, die auf eine gänzliche Klageabweisung abzielt.
[9] In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
[10] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[11] I. Allgemeines:
[12] 1. Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der AGB-Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen (RIS-Justiz RS0016590). Es ist daher von jener Auslegungsvariante auszugehen, die für die Kunden der Beklagten die nachteiligste ist. Das der Klausel vom Verwender der AGB beigelegte Verständnis ist im Verbandsprozess nicht maßgeblich (RS0016590 [T23]). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen ist nicht Rücksicht zu nehmen; für eine geltungserhaltende Reduktion ist kein Raum (RS0038205 [T1]).
[13] 2. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt (vgl RS0016914). Weicht eine Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften ab, so liegt eine gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn es für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung gibt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0014676 [T21]; vgl auch RS0016914 [T3, T4 und T6]).
[14] 3. Die Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB geht der Geltungskontrolle nach § 864a ABGB nach (RS0037089). § 864a ABGB erfasst jene Fälle, in welchen nach Vertragsabschluss nachteilige Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in AGB oder Vertragsformblättern hervorkommen, mit denen nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen war (RS0105643). Eine grobe Benachteiligung im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB wird nicht vorausgesetzt (RS0123234). Objektiv ungewöhnlich ist nur eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte; der Klausel muss somit ein Überrumpelungseffekt innewohnen. Insbesondere dann, wenn nur ein beschränkter Adressatenkreis angesprochen wird, kommt es auf die Branchenüblichkeit und den Erwartungshorizont der angesprochenen Kreise an (RS0014646).
[15] 4. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den AGB oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher durchschaubar sind (RS0122169 [T2]). Damit sollen auch Klauseln beseitigt werden, die den Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild über seine vertragliche Position – von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten oder ihm in unberechtigter Weise Pflichten auferlegen sollen (RS0115217 [T8]; RS0121951 [T4]). Aus dem Transparenzgebot kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen einer Klausel für den Kunden andernfalls unklar bleiben (RS0115219). Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind demnach das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RS0115217 [T12]; RS0115219 [T12]). Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen Durchschnittskunden (RS0126158).
[16] 5. Die in diesem Verfahren geltend gemachten Gesetzwidrigkeiten beziehen sich zu einem guten Teil auf Verstöße gegen das am 1. 6. 2018 in Kraft getretene Zahlungsdienstegesetz 2018 (ZaDiG 2018), BGBl I 17/2018, mit dem das ZaDiG idF BGBl I 66/2009 ersetzt wurde.
[17] Das Zahlungsdienstegesetz legt die Bedingungen fest, zu denen Personen Zahlungsdienste gewerblich in Österreich erbringen dürfen (Zahlungsdienstleister). Es regelt die Rechte und Pflichten von Zahlungsdienstleistern und Zahlungsdienstnutzern im Zusammenhang mit Zahlungsdiensten (§ 1 Abs 1 ZaDiG 2018).
[18] Mit dem ZaDiG 2018 wurde die Richtlinie (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (PSD II) umgesetzt. Wie schon Art 86 der Zahlungsdienstrichtlinie 2007/64/EG (PSD I) gibt Art 107 Abs 1 PSD II grundsätzlich eine vollständige Harmonisierung vor (vgl 9 Ob 26/15m), um im Bereich der Zahlungsdienste mehr Rechtsklarheit zu schaffen und die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens sicherzustellen (Erwägungsgrund 6). Art 107 Abs 3 Satz 1 PSD II verlangt, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Zahlungsdienstleister nicht zum Nachteil der Zahlungsdienstnutzer von den nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie abweichen, es sei denn, das ist in diesen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen.
[19] § 55 Abs 2 ZaDiG 2018 normiert dementsprechend, dass Vereinbarungen, die zum Nachteil des Verbrauchers von den Vorgaben des 4. Hauptstücks (§§ 55 bis 87) abweichen, unwirksam sind. Auch wenn (im Unterschied zu Art 107 Abs 3 Satz 2 PSD II) im Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet, sind im Umkehrschluss Abweichungen zu Gunsten des Verbrauchers uneingeschränkt erlaubt. Die Bestimmungen des 4. Hauptstücks sind einseitig zwingendes Recht, das den typischerweise wirtschaftlich unterlegenen und schlechter informierten Verbraucher davor schützt, Zahlungsdienste nur zu Vertragsbedingungen in Anspruch nehmen zu können, die für ihn gegenüber dem Gesetz nachteilig sind (Haghofer in Weilinger/Knauder/Miernicki, ZaDiG 2018 § 55 Rz 13 mwN). Nachteilig ist nach Literatur und Schrifttum (Haghofer aaO § 55 Rz 17 mwN) jede Erweiterung von gesetzlichen Pflichten des Verbrauchers oder Rechten des Zahlungsdienstleisters und jede Verkürzung von Rechten des Verbrauchers oder Pflichten des Zahlungsdienstleisters.
[20] Für das...
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