Entscheidungs 8Ob27/20h. OGH, 19-06-2020

ECLIECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00027.20H.0619.000
Judgement Number8Ob27/20h
Date19 Junio 2020
Record NumberJJT_20200619_OGH0002_0080OB00027_20H0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzeröffnungssache der Schuldnerin A***** AG *****, über die ordentlichen Revisionsrekurse der 1. Schuldnerin, vertreten durch die mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 12. Februar 2020, GZ 71 Fr 1855/20y-6, bestellten Abwickler Mag. C***** R***** und Dr. T***** E*****, beide vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, und der 2. Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA), 1090 Wien, Otto-Wagner-Platz 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 14. April 2020, GZ 6 R 67/20x-38, womit über Rekurs der Gläubiger 1. Y***** N*****, 2. U***** Ltd, *****, 3. P***** Ltd, *****, 4. G***** Ltd, *****, und 5. P***** Corp, *****, alle vertreten durch Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Graz, der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 2. März 2020, GZ 5 S 29/20d-2, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen und das Verfahren des Rekursgerichts werden als nichtig aufgehoben. Die Insolvenzeröffnungssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Europäische Zentralbank (EZB) entzog mit Beschluss vom 14. 11. 2019, ECB-SSM-2019-AT-8, WHD-2019-0009, der Schuldnerin – damals noch A***** Bank AG (im Folgenden auch: Gesellschaft) – mit Wirkung vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses die Zulassung als Kreditinstitut (Rücknahme der Konzession).

Mit Beschluss vom 20. 11. 2019 setzte der Präsident des Gerichts der Europäischen Union zu T-797/19R den Vollzug des Beschlusses der EZB vom 14. 11. 2019 bis zur Entscheidung im Eilverfahren über die Klage der Gesellschaft vom 19. 11. 2019 auf Nichtigerklärung des genannten Beschlusses der EZB vom 14. 11. 2019 aus.

Der Beschluss vom 20. 11. 2019 wurde mit dem weiteren Beschluss des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union vom 7. 2. 2020 aufgehoben (ECLI:EU:T:2020:37).

Am 7. 2. 2020 beantragte die Österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA) beim Erstgericht im Verfahren außer Streitsachen die Bestellung eines Abwicklers für die Antragsgegnerin gemäß § 6 Abs 5 BWG.

Mit Beschluss vom 12. 2. 2020, 71 Fr 1855/20y-6, bestellte das Erstgericht als Firmenbuchgericht für die Gesellschaft Mag. C***** R***** und Dr. T***** E***** „anstelle der bisherigen Vorstände“ zu Abwicklern gemäß § 6 Abs 5 BWG. Es hielt fest, die beiden bestellten Abwickler verträten [die Gesellschaft] mit sofortiger Wirkung gemeinsam oder mit einem Prokuristen, und erkannte diesem Beschluss vorläufige Verbindlichkeit nach § 44 AußStrG zu.

Die am 16. 2. 2020 neu gefasste Satzung der Gesellschaft lautet in § 1:

„1. Die Aktiengesellschaft führt die Firma A***** AG. […]“

§ 2 lautet auszugsweise:

„1. Gegenstand des Unternehmens ist die Abwicklung von Bankgeschäften und Wertpapierdienstleistungen aller Art.

2. Gegenstand des Unternehmens sind ferner, soweit es nicht dem BWG unterliegt: […].“

Die Eintragung der Satzungsänderung im Firmenbuch erfolgte am 19. 2. 2020; der Antrag auf Änderung war am 17. 2. 2020 eingelangt (71 Fr 2145/20z).

Die Abwickler brachten namens der Schuldnerin am 2. 3. 2020 einen Konkurseröffnungsantrag ein. Die Schuldnerin sei zahlungsunfähig. Bemühungen um eine außergerichtliche Abwicklung der Schuldnerin seien am 28. 2. 2020 gescheitert. Zur Bestimmung des § 82 Abs 3 BWG wurde im Antrag die Ansicht vertreten, diese sei nicht mehr anwendbar, weil die Schuldnerin seit 7. 2. 2020 über keine aufrechte Bankkonzession verfüge.

Das Erstgericht eröffnete mit Beschluss vom 2. 3. 2020 das Konkursverfahren und bestellte Dr. G***** F***** zum Insolvenzverwalter. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergebe sich aus § 69 IO, die Antragslegitimation der Antragstellerin aus der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Wegfalls der Bankenkonzession und der Änderung des Unternehmensgegenstands, weshalb § 82 Abs 3 BWG nicht zur Anwendung gelange. Da das Unternehmen im Sprengel des Erstgerichts betrieben werde, liege die örtliche Zuständigkeit gemäß § 63 IO vor.

Das Rekursgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung dem Rekurs der fünf aus dem Kopf dieses Beschlusses ersichtlichen Gläubiger Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es den Konkurseröffnungsantrag vom 2. 3. 2020 zurückwies. Das Rekursgericht erachtete es als bescheinigt, dass liquiden Mitteln der Schuldnerin von höchstens 33,4 Mio EUR fällige Verbindlichkeiten aus Einlagen von jedenfalls 49,2 Mio EUR gegenüberstünden und bejahte hiervon ausgehend die Zahlungsunfähigkeit. Es sei aber aufzugreifen, dass nicht die Abwickler, sondern nur die FMA gemäß § 82 Abs 3 BWG zur Stellung des Konkurseröffnungsantrags befugt gewesen wäre. Zwar seien die vom Erstgericht im Verfahren außer Streitsachen bestellten Abwickler im Zeitpunkt der Konkursantragstellung die organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin gewesen. Die Bestellung der Abwickler „anstelle der bisherigen Vorstände“ begreife deren Abberufung ein. Der Beschluss des Firmenbuchgerichts vom 12. 2. 2020 sei wirksam, wenngleich – aufgrund seiner Anfechtung mit Rekurs – noch nicht rechtskräftig. Auch habe es sich bei der Schuldnerin bei Konkursantragstellung mangels aufrechter Berechtigung zum Betrieb von Bankgeschäften formal um kein Kreditinstitut iSd § 1 Abs 1 BWG gehandelt. Der Begriff des Kreditinstituts in § 82 BWG und damit auch dessen Abs 3 über das alleinige Konkurseröffnungsantragsrecht der FMA sei aber weit auszulegen. Er erfasse auch ein Kreditinstitut, dessen Konzession bereits entzogen worden sei, dessen konzessionspflichtige Bankgeschäfte aber noch nicht abgewickelt worden seien. Legte man den Begriff „Kreditinstitut“ in § 82 BWG eng iSd § 1 Abs 1 BWG aus, so wären nämlich die insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen des § 82 BWG insgesamt nicht anwendbar, so auch nicht der Ausschluss des Sanierungsplanantrags durch § 82 Abs 1 BWG. Nach dem Gesetzeszweck könne jedoch hierfür nicht ausschlaggebend sein, ob die Konzessionsrücknahme der Abwicklung vorangehe oder umgekehrt. Nichts anderes gelte für das Konkursantragsmonopol der FMA in § 82 Abs 3 BWG. Wäre die Kontrollbefugnis der FMA nach der sofort wirksamen Konzessionsrücknahme (§ 6 Abs 2 Z 2 BWG) darauf beschränkt, die Bestellung von Abwicklern nach § 6 Abs 5 BWG – unter Nachweis der mangelnden Eignung der sonst zur Abwicklung der Bankgeschäfte berufenen Personen – bei Gericht zu beantragen, hieße dies, dass die unmittelbare staatliche Aufsicht in der Phase der Abwicklung ausgerechnet bei solchen Instituten aus der Hand gegeben wäre. Dies widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, welche aus den Vorschriften über die Selbstauflösung der Gesellschaft oder deren freiwillige Konzessionszurücklegung ersichtlich sei. Fasse ein Kreditinstitut den organschaftlichen Beschluss auf Auflösung (§ 6 Abs 2 Z 5 BWG), so komme es nämlich erst nach Abwicklung sämtlicher Bankgeschäfte zur Konzessionsrücknahme. Bis dahin unterliege das Kreditinstitut der Kontrolle durch die FMA. Ähnlich verhalte es sich beim Erlöschen der Konzession infolge deren Zurücklegung, welche gemäß § 7 Abs 3 BWG ebenso erst nach Abwicklung sämtlicher Bankgeschäfte zulässig sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob das Konkursantragsmonopol der FMA gemäß § 82 Abs 3 BWG bei Kreditinstituten nach der Konzessionsrücknahme während der Abwicklung der konzessionspflichtigen Bankgeschäfte aufrecht bleibe, zu.

Gegen diesen Beschluss richten sich die jeweils aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionsrekurse der Schuldnerin, vertreten durch die Abwickler, und der FMA, dies jeweils mit einem im Ergebnis auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses gerichteten Abänderungsantrag.

Die Rekurswerber beantragen in ihren Revisionsrekursbeantwortungen, den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.

I. Zur Zulässigkeit der Revisionsrekurse:

I.1. Dass die Schuldnerin und die FMA grundsätzlich zur Erhebung eines Revisionsrekurses gegen den den Insolvenzeröffnungsantrag der Schuldnerin zurückweisenden...

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