Entscheidungs 8ObA288/01p. OGH, 13-06-2002

ECLIECLI:AT:OGH0002:2002:008OBA00288.01P.0613.000
Judgement Number8ObA288/01p
Date13 Junio 2002
Record NumberJJT_20020613_OGH0002_008OBA00288_01P0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Manfred Gürtler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der A***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei A***** GmbH, ***** vertreten durch Brandstätter Pritz & Partner, Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 21.801,85), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2001, GZ 7 Ra 37/01i-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. September 2000, GZ 33 Cga 118/99h-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil in der Hauptsache unter Ausschluss der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird. Die auf Kostenzuspruch in erster und zweiter Instanz gerichteten Parteienanträge werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.126,41 (darin EUR 187,74 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Unternehmen der Beklagten wurde im April 1999 ein neues Telefonsystem in Betrieb genommen. Die Installation der Telefonanlage erfolgte auf Grund betriebswirtschaftlicher Überlegungen, die vor allem in der erhofften Kostenreduktion, dem Aufbau eines einheitlichen Rufnummernplans, der besseren firmeninternen Kommunikation und der Kostenstellenzuordnung bestanden. Eine Betriebsvereinbarung über die Einführung und Verwendung dieses neuen Telefonsystems wurde nicht abgeschlossen. Mit Dienstanweisung vom 29. 7. 1999 erhielten die Mitarbeiter nur in Grundzügen Informationen über die Möglichkeiten der Anlage.

Die Telefonanlage kann bei abgehenden Telefonaten die Nebenstellennummer des Teilnehmers, die gewählte Rufnummer, die belegte Postleitung, das Datum, die Uhrzeit, die Dauer des Gesprächs, die Zahl der Impulse und den Gebührenbetrag aufzeichnen, sowie - auf Grund Eingabe - ob ein Dienst- oder Privatgespräch vorliegt. Die Verknüpfung dieser Daten erfolgt im Business Datenserver (BDS), an den die Daten von der Telefonanlage über eine normierte Schnittstelle übertragen werden. EDV-mäßige Verknüpfungen können entsprechend den Möglichkeiten der BDS-Software erfolgen. Über Ausdruck der Auswertungen oder Abspeichern der Daten (Diskette) können diese Informationen auch Dritten zugänglich gemacht oder an sie weitergegeben werden.

Ein Bearbeiten und Auswerten der Daten der Telefonanlage ist nur dem geschulten Servicetechniker des Lieferunternehmens möglich. Ein Bearbeiten und Auswerten der Daten des BDS ist jenen geschulten Mitarbeitern der Beklagten möglich, die mit Passwörtern in das System eintreten.

Gesprächsdaten können in der Telefonanlage unterdrückt bzw ausgeschaltet werden. Diese Maßnahme ist nur dem Servicetechniker möglich, der sie auch auf seinem Service-Laptop überprüfen kann. Werden Gesprächsdaten in der Telefonanlage unterdrückt, stehen sie auch im BDS nicht zur Verfügung und können daher dort nicht ausgewertet werden. Funktionen des BDS können von geschulten Mitarbeitern der Beklagten unter Verwendung von Passwörtern unterdrückt oder ausgeschaltet werden.

Eine Überprüfung der Auswertungen ist jedermann über gezielt angeforderte Ausdrucke möglich. Eine eingeschränkte Überprüfung kann auch durch Auswertung des Journals der Logfile erfolgen. Die Daten werden im BDS über die letzten 180 Tage, in der Logfile über die letzten 20 Tage gespeichert. Weiter zurückliegende Daten werden nach dem Prinzip "First in First out" gelöscht.

Mit ihrer am 29. 7. 1999 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, der Beklagten bei Exekution zu untersagen, das Telefonsystem ohne Zustimmung des Betriebsrates einzuführen und zu verwenden. Dem klagenden Betriebsrat komme Parteifähigkeit gemäß § 53 Abs 1 ASGG zu. Obwohl der Betriebsrat bereit gewesen sei, über die Einführung und Verwendung der neuen Telefonanlage eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, habe sich die Beklagte auf den Standpunkt gestellt, dass es der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG nicht bedürfe. Diese Ansicht sei unrichtig, weil es sich bei der Anlage um ein technisches System zur Kontrolle der Arbeitnehmer im Sinn der genannten Gesetzesstelle handle, das die Menschenwürde in mehrfacher Hinsicht berühre. Die Anlage ermögliche eine Passwortsteuerung in drei Hierarchiestufen, eine Auswertung nach Teilnehmer, Abteilung, Kostenstelle, Gruppe oder Amtsleitung, die Unterdrückung der gewählten Rufnummer, eine Umsetzung häufig wiederkehrender Rufnummern in Namen und Speicherung in Datenbanken, eine Auswertung auch für ankommende Gespräche, die Möglichkeit der Projektbewertung und eine PIN-Code-Abrechnung durch Filter, den Datenexport an Fremdsysteme sowie die Eingabe eines Maximalbetrags, bis zu dem ein Gespräch nicht erfasst wird bzw eines Mindestbetrages. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses erfasse nicht nur den Inhalt von Nachrichten, er erstrecke sich auch auf den Bereich von "äußeren Gesprächsdaten". Art 8 MRK verbürge die Achtung des Privat- und Familienlebens, welches Grundrecht durch die fragliche Anlage beeinträchtigt werde. Überdies gewähre § 1 DSG ein allgemeines Grundrecht auf Datenschutz. Diese verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte hätten keine absolute Gültigkeit, vielmehr sei im Einzelfall eine Interessenabwägung zwischen dem berechtigten Kontrollinteresse des Dienstgebers und den Interessen der Dienstnehmer auf Wahrung obiger Grundrechte anzustellen. Das installierte System sei objektiv geeignet, die Menschenwürde der Arbeitnehmer zu berühren. Allein die Möglichkeit, das Telefonverhalten einzelner Teilnehmer umfassend auszuwerten, häufig wiederkehrende Rufnummern in Namen umzusetzen und diese in Datenbanken abzuspeichern sowie auch ankommende Gespräche auszuwerten, berühre krass die Menschenwürde. Die Versicherungen des Dienstgebers, Derartiges derzeit nicht zu planen, hätten bei der objektiven Beurteilung der Möglichkeiten des Systems außer Betracht zu bleiben. Das System ermögliche etwa ohneweiteres, jeden Anrufer des Betriebsrats persönlich zu identifizieren, sowie von jedem Dienstnehmer festzustellen, wer ihn angerufen hat. Es ermögliche weiters eine lückenlose Überwachung des Telefonverhaltens der Dienstnehmer nicht nur im Hinblick auf Privatgespräche, sondern auch im Hinblick auf Dienstgespräche, was weitgehende Rückschlüsse auf das konkrete Arbeitsverhalten des Dienstnehmers zulasse.

Die Beklagte wendete ein, dass ein Zustimmungsrecht des Betriebsrats nicht bestehe. Das Telefonsystem sei eine handelsübliche Anlage, die das automatische Registrieren jedes Gesprächs hinsichtlich der Nummer des Gesprächspartners, der Gesprächsdauer und Gebührenhöhe sowie des Erkennens des Charakters eines Telefonates als Privat- oder Dienstgespräch ermögliche. Der Dienstnehmer könne bei Privatgesprächen durch Betätigen einer Taste die Registrierung der angewählten Teilnehmernummer unterbinden. Die Erfassung sogenannter äußerer Gesprächsdaten, welche durch diese Anlage möglich ist, sei ausschließlich Mittel, um Gesprächsvermittlungen, Gebührenfeststellungen und Verrechnungen vornehmen zu können. Das Fernmeldegeheimnis finde in diesen Ermittlungen äußerer Gesprächsdaten seine natürliche Grenze, wenn die Registrierung dieser Daten verhältnismäßig sei. Da im gegenständlichen Fall das Registrieren der Daten ausschließlich der Gebührenfeststellung und dem Nachweis der Richtigkeit der Gebührenfeststellung, dem Hintanhalten weitläufiger Privatgespräche sowie der Vermeidung übertriebener Telefonbenützung diene, liege Verhältnismäßigkeit jedenfalls vor. Da das Abhören von Gesprächen durch das neu eingeführte Telefonsystem nicht möglich sei, könne von einem Eingriff in Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer nicht gesprochen werden. Es dürfe nicht übersehen werden, dass dem Arbeitgeber als Anschlussinhaber das Recht zukomme, zu bestimmen, von wem, wann, wo und wielange Gespräche geführt werden dürfen. Einer Angabe von Gründen oder deren Rechtfertigung bedürfe es in diesem Zusammenhang nicht, weil ein Arbeitnehmer grundsätzlich genausowenig Anspruch auf die Benützung des Fernsprechanschlusses des Arbeitgebers für private Zwecke habe, wie sonst jemand auf die Benützung einer fremden Anlage. Da Dienstgespräche nicht nur hinsichtlich der äußeren Gesprächsdaten, sondern auch in ihrem sachlichen Gehalt für den Dienstgeber bestimmt seien und der Dienstnehmer auf Grund der ihn treffenden Treuepflicht sogar verpflichtet sei, auf Verlangen des Dienstgebers diesem den Inhalt des Dienstgesprächs mitzuteilen, könne der Dienstnehmer auch im Lichte des Datenschutzes kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der äußeren Gesprächsdaten haben. Auch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens werde nicht beeinträchtigt, da der Dienstnehmer die Möglichkeit habe, bei Privatgesprächen durch Betätigen einer Taste die Registrierung der angewählten Teilnehmernummer zu unterbinden. Es sei nicht möglich, Telefongespräche bestimmten Arbeitnehmern zuzuordnen, sondern erfolge dies nur hinsichtlich anonymer Nebenstellen. Es würden nur solche Daten registriert, an deren Geheimhaltung der Arbeitnehmer kein Interesse habe, während sie für den Arbeitgeber aus Kostengründen von erheblicher Bedeutung seien. Alle Dienstnehmer seien über die Möglichkeit der Erfassung bestimmter äußerer Fernsprechdaten und über die Details der Telefonanlage vor Einführung des Systems informiert worden. Auch...

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