Entscheidungs 9ObA141/15y. OGH, 19-12-2016

ECLIECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00141.15Y.1219.000
Record NumberJJT_20161219_OGH0002_009OBA00141_15Y0000_000
Judgement Number9ObA141/15y
Date19 Diciembre 2016
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr.Rolf Gleißner und ADir. Angelika Neuhauser in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Teinfaltstraße 7, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich, Bundeskanzleramt, Ballhausplatz 2, 1010 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein (in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr) altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein neues Besoldungssystem ersetzt wird, die Überleitung der Bestandsbediensteten in das neue Besoldungssystem aber dadurch erfolgt, dass das neue Besoldungssystem rückwirkend auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Stammgesetzes in Kraft gesetzt wird, sich die erstmalige Einstufung in das neue Besoldungssystem aber nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem für einen bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) tatsächlich ausbezahlten Gehalt richtet, sodass die bisherige Altersdiskriminierung in ihren finanziellen Auswirkungen fortwirkt?

1.2. Für den Fall der Bejahung der Frage 1.1.:

Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 17 der Richtlinie 2000/78/EG, dahin auszulegen, dass Bestandsbedienstete, die in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr im alten Besoldungssystem diskriminiert wurden, einen finanziellen Ausgleich erhalten müssen, wenn diese Altersdiskriminierung auch nach Überleitung in das neue Besoldungssystem in ihren finanziellen Auswirkungen fortwirkt?

1.3. Für den Fall der Verneinung der Frage 1.1.:

Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 47 GRC, dahin auszulegen, dass dem darin verbrieften Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eine nationale Regelung entgegensteht, nach der das alte diskriminierende Besoldungssystem in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden ist und sich die Überleitung der Besoldung von Bestandsbediensteten in das neue Besoldungsregime allein nach dem für den Überleitungsmonat zu ermittelnden bzw ausbezahlten Gehalt richtet?

2. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 45 AEUV, Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, und Art 20 f GRC, dahin auszulegen, dass es einer Regelung entgegensteht, nach der Vordienstzeiten eines Vertragsbediensteten

- in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums, der Türkischen Republik oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, zu einer Einrichtung der Europäischen Union oder zu einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, uä zur Gänze,

- in einem Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstgeber nur bei Ausübung einer einschlägigen Berufstätigkeit oder eines einschlägigen Verwaltungspraktikums bis zum Ausmaß von insgesamt höchstens zehn Jahren anrechenbar sind?

B. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Text

Begründung:

I. Sachverhalt und Zusammenfassung

Der österreichische Gesetzgeber führte infolge der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 18. 6. 2009, C-88/08 Hütter, und vom 11. 11. 2014, C-530/13 Schmitzer, mit denen das System der Nichtanrechnung von vor dem 18. Lebensjahr liegenden Vordienstzeiten von Bundesbediensteten als altersdiskriminierend und mit der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie der Europäischen Union, 2000/78/EG, unvereinbar angesehen wurde, ein neues, vom Alter eines Bediensteten unabhängiges gesetzliches System der Anrechnung von Vordienstzeiten von Bundesbediensteten ein („Besoldungsreform 2015“ idF Novelle 2015). Zusammengefasst – s im Detail Pkt II. – wird die Einstufung und Vorrückung in eine bestimmte Gehaltsstufe eines Bundesbediensteten nicht mehr durch den „Vorrückungsstichtag“ (fiktiver Ausgangspunkt der Besoldungskarriere), sondern durch das mit der Dauer des Dienstverhältnisses anwachsende „Besoldungsdienstalter“ bestimmt. Für dieses werden nun bei Gebietskörperschaften verbrachte Vordienstzeiten (und ihnen gleichgestellte Zeiten) zur Gänze, hingegen bei anderen Arbeitgebern verbrachte Vordienstzeiten, die eine einschlägige Bedeutung im Hinblick auf die aufzunehmende Tätigkeit im Bundesdienst aufweisen, nur im Ausmaß von maximal zehn Jahren berücksichtigt. Die Überleitung der Besoldung der Bundesbediensteten in das neue Regime erfolgt nach Maßgabe der nach altem Regime für Februar 2015 („Überleitungsmonat“) zugrunde gelegten (Novelle 2015) bzw ausbezahlten (Novelle 2016) Bezüge.

Der Antragsteller ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft, die ua die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Antragsgegnerin, der Republik Österreich, stehenden Arbeitnehmer vertritt (Vertragsbedienstete). Er erachtet die Besoldung von Bestandsbediensteten im neuen System weiterhin für unionsrechtswidrig (s Pkt III.), weil mit der Anknüpfung der Überleitung am Bezug für Februar 2015 die schon vorher bestehende Altersdiskriminierung fortgeführt werde und die (rückwirkende) Abschaffung des bis dahin maßgeblichen Vorrückungsstichtags die Überprüfbarkeit der Gesetzmäßigkeit des Februarbezugs 2015 beseitige. Zudem sei die Differenzierung zwischen uneingeschränkt anrechenbaren Vordienstzeiten, die bei einer Gebietskörperschaft verbracht wurden, und beschränkt anrechenbaren Vordienstzeiten, die bei anderen Dienstgebern verbracht wurden, infolge der Entscheidung des EuGH C-514/12 SALK unionsrechtswidrig. Der Antragsteller begehrt daher mit seinem unmittelbar beim Obersten Gerichtshof gestellten Antrag nach § 54 Abs 2 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes die unter Pkt III. dargestellte Feststellung.

Rechtliche Beurteilung

II. Rechtsgrundlagen

1. Unionsrechtliche Grundlagen

Die unionsrechtlichen Grundlagen dieses Vorabentscheidungsersuchens liegen in den Art 20, 21 und 47 Grundrechtecharta (GRC), den Art 1, 2, 6 und 17 der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, in Art 45 AEUV und in Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011.

2. Innerstaatliche Rechtsvorschriften

Die auf die vom Antragssteller vertretenen Vertragsbediensteten anzuwendenden Vorschriften lauten:

2.1. Rechtslage vor der Besoldungsreform 2010

Bis zur Besoldungsreform 2010 (BGBl I 82/2010) richtete sich die besoldungsrechtliche Einstufung und (meist) zweijährige Vorrückung von Vertragsbediensteten nach § 26 Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG 1948) in der bis 30. 8. 2010 geltenden Fassung. Nach dieser Bestimmung waren dem Tag der Anstellung bestimmte Zeiten unter Ausschluss der vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten voranzusetzen.

2.2. Rechtslage nach der Besoldungsreform 2010, aber vor der Besoldungsreform 2015

Infolge der Entscheidung des EuGH vom 18. 6. 2009, C-88/08 Hütter, kam es zu einer Überarbeitung der Regelungen über die Anrechnung vor Vordienstzeiten durch die Besoldungsreform 2010, BGBl I 82/2010. § 19 VBG 1948 idF BGBl I 82/2010 lautete:

„§ 19. (1) Für die Vorrückung ist der Vorrückungsstichtag maßgebend. Soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, beträgt der für die Vorrückung in die zweite in jeder Verwendungsgruppe in Betracht kommende Gehaltsstufe erforderliche Zeitraum fünf Jahre, ansonsten zwei Jahre.“

§ 26 VBG 1948 idF BGBl I 82/2010 lautete:

„§ 26. (1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass Zeiten nach dem 30. Juni des Jahres, in dem nach der Aufnahme in die erste Schulstufe neun Schuljahre absolviert worden sind oder worden wären, unter Beachtung der einschränkenden Bestimmungen der Abs … dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden:

1. die im Abs. 2 angeführten Zeiten zur Gänze,

2. sonstige Zeiten …“

Eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags und der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung erfolgte nur auf Antrag bei sonstiger Fortgeltung der bisherigen Bestimmungen in der am 31. 12. 2003 geltenden Fassung.

Diese Reform, im besonderen die für Beamte geltende Parallelbestimmung, wurde in der Entscheidung des EuGH vom 11. 11. 2014, C-530/13 Schmitzer, einer Prüfung unterzogen und als unionsrechtswidrig erkannt. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass Art 2 Abs 1 und 2 lit a und Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach zur Beendigung einer Diskriminierung wegen des Alters Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt wurden, berücksichtigt werden, aber für die von dieser Diskriminierung betroffenen Beamten zugleich eine Verlängerung des für die Vorrückung von der jeweils ersten in die jeweils zweite Gehaltsstufe jeder Verwendungs- bzw Entlohnungsgruppe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre eingeführt wird.

2.3. Rechtslage nach der Besoldungsreform 2015

Infolge der Entscheidung des EuGH C-530/13 Schmitzer kam es zur Bundes-Besoldungsreform 2015, BGBl I 32/2015,...

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