Entscheidungstexte nº A4/09. VfGH. 10-03-2011

Date10 Marzo 2011
10.03.2011
www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 19
Gericht
Verfassungsgerichtshof
Entscheidungsdatum
10.03.2011
Geschäftszahl
A4/09
Sammlungsnummer
19354
Leitsatz
Zurückweisung e iner Klage der Stadt Salzburg gegen den Bund auf Ersatz von Aufwendungen für die Suche
nach Fliegerbomben(blindgä ngern) auf in ihrem Eigentum stehenden Grundstüc ken mangels Zuständigkeit des
VfGH; vermögensrechtlicher Anspruch aus Kompetenzverteilung nicht ableitbar; Zuständigkeit der ordentlichen
Gerichte infolge Fehlens einer gesetzlichen Kostentragungsregelung für Ersatzansprüc he
Spruch
Die Klage wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Sachverhalt, Klagevorbringen und Vorverfahren
1. Klage
1.1. Die Stadtgemeinde Salzburg (im Folgenden: klagende Partei) stellt mit der vorliegenden, auf Art137
Bundes-Verfassungsgesetz (im Folgenden: B-VG) gestützten, gegen die Republik Österreich (richtig: den Bund;
im Folgenden: beklagte Partei) gerichteten, mit 1. April 200 9 datierten Klage den Antrag, der
Verfassungsgerichtshof wolle erkennen:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von € 851.012,11 samt 4 % Zinsen aus €
648.489,45 seit 15.11.2002, aus € 133.878,66 seit 01.04.2003 und aus € 68.652,09 seit 18.10.2003 zu bezahlen
und die Prozesskosten zu ersetzen; all dies binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang."
1.2. Die Klage wird wie folgt begründet (Hervorhebungen wie im Original):
"...
II. SUCH- UND SONDIERUNGSMAßNAHMEN DER KLAGENDEN PARTE I
1. Ausgangslage
Gegenstand dieses Verfahrens sind Aufwendungen, die der klagenden Partei im Zusammenhang mit dem
Aufsuchen und der Bergung von Fliegerbombenblindgängern entstanden sind. Diese Fliegerbombenblindgänger
sind Relikte aus der Zeit des zweiten Weltkrieges. Die englischen und amerikanischen Luftstreitkräf te haben im
zweiten Weltkrieg (vorwiegend) zwei Typen von Bomben verwendet:
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Bomben, die im Zeitpunkt des Aufschlagens auf den Boden detonieren sollten, und Bomben, die mit einem
Zeitzünder ausgestattet waren. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem der zuletzt genannte
Typus.
Der Zeitzünder hatte den Sinn, Rettungs- und Bergungs arbeiten zu erschweren. Die Detonation sollte einige
Zeit (2 bis 144 Stunden) nach dem Abwurf der Bombe erfolgen.
Der Zeitzündermechanismus bestand in einer Feder, die auf einen Schlagbolzen einwirkt. Die Feder drückt
den Schlagbolzen nach vorn in Richtung d er Sprengkapsel. Der durch die Feder belastete Schlagbolzen wird
durch eine n Sicherungsmechanismus aus Zelluloid daran gehindert, nach vor zu schnellen. Eine Säure
(Acetonsäure) sollte dieses Zelluloid zersetzen und sohin bewirken, dass der Schlagbolzen in dem vorgesehenen
Zeitintervall (wie gesagt, 2 bis 144 Stunden nach dem Abwurf) nach vor schlagen kann. Dieser Vorgang bewirkt
die Detonation der Bombe.
Die Blindgängerquote war bei Zeitzünderbomben relativ hoch, sie betrug 20 % bis 25 %. Eine technische
Ursache hiefür ist darin zu sehen, dass eine Bombe zwar mit der Spitze nach vorn in das Erdreich eindr ingt, aber
in der Folge - üblicherweise - eine 'Aufwärtsbewegung' a usführt. Bei der Bergung derartiger Bomben konnte
man beobachten, dass die Bomben überwiegend 'im Erdreich stehen'. Die geschilderte Stellung der Bombe
bewirkt, dass die Säure nach unten, also in den B oden, dringt, und daher nicht mehr, jedenfalls nicht unmittelbar,
auf das Zelluloid einwirken kann. Der geplante - säurebedingte - Zersetzungsprozess findet nicht statt. Die Säure
verdampft und diffundiert.
Weiterhin hindert das nicht zersetzte Zelluloid daher den Schlagbolzen daran, nach vor zu sc hnellen. Die
Haltekraft des Zelluloids ist jedoch b egrenzt. Zelluloid verliert ständig an Stabilisatoren und damit an Elastizität.
Wenn die Haltekraft des Zelluloids endet, dann schnellt die Feder nach vorn. In dieser Situation kommt es mit
großer technischer Wahrscheinlichkeit zur Explosion. Aus technischer Sicht ist demnach die Detonation einer
Zeitzünderbombe, die viele Jahre oder Jahrzehnte nach dem Abwurf einer Bo mbe erfolgt, nicht ungewöhnlich,
sondern geradezu naheliegend.
Über diese Gegebenheiten besteht zwischen den Streitteilen weithin Einvernehmen. ...
...
In der Stadt Salzburg detonierten Fliegerbombenblindgänger in den J ahren 1965 und 1996. Im Jahr 1965
explodierte eine Shell-Tankstelle im Gebiet Rainerstraße/St. Julien-Straße. Eine Person wurde getötet, sieben
Personen wurden verletzt. Im Jahr 1996 explodierte ein Fliegerbombenblindgänger im sogenannten
Schwarzpark. Die Fliegerbombe riss einen Krater von knapp 10 m Durchmesser. Ein Hausmeister e ntkam knapp
dem Tod. Der betreffende Bereich befindet sich unweit eines Kindergartens.
...
Vor dem Hintergrund d ieser Gefahrensituation erscheint es dringend geboten, Fliegerbombenblindgänger
nach Möglichkeit zu sondieren und zu bergen. Das Gefahrenpotential der Fliegerbombenblindgänger
unterscheidet sich allerdings danach, ob die betreffende Bombe mit einem Zeitzünder ausgestattet war oder
nicht. Zu einer Detonation eines Fliegerbombenblindgängers, der mit eine m Zeitzünder ausgestattet ist, kommt
es 'von selbst'. Der Zeitpunkt besti mmt sich nac h dem eingangs beschriebenen Zersetzungsprozess des
Zelluloids. Eine nähere zeitliche Eingrenzung ist nicht möglich. Die Selbstdetonation kann 10 Jahre, 30 Jahre
oder 70 Jahre nach dem Abwurf der Fliegerbombe erfolgen. - Ein geringeres Gefahrenpotential weisen
Fliegerbombenblindgänger auf, die nicht mit einem Zeitzünder ausgestattet sind. Nach technischer Erfahrung
wird eine Detonation nur durch Krafteinwirkung ausgelöst. Auch dieses Gefahrenpotential darf freilich nicht
bagatellisiert werden. So kann etwa eine Detonation durch Bautätigkeit ausgelöst werden.
Auch diese Zusammenhänge waren bislang zwischen den Parteien nicht strittig. ...
Eine sinnvolle Such - und Sondierungstätigkeit setzt voraus, dass e ntsprechende Indizien für
Bombenverdachtspunkte vorliegen. Die Anhaltspunkte für die Tätigkeit der klagenden Partei lieferten die so
genannte Salzburger Bombenkarte und die histo rischen Luftbildauswertungen de r englischen und
amerikanischen Luftstreitkräfte.
Die Salzburger Bombenkarte wurde nach dem zweiten Weltkrieg, beruhend auf protokollarisch
festgehaltenen Angaben von Zeugen, angefertigt. In der Folg e wurde diese Karte in einem Archiv der Salzburger

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