Entscheidungstexte nº G158/91 G159/91 G160/91.... VfGH. 27-06-1991

Date27 Junio 1991
27.06.1991
www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 17
Gericht
Verfassungsgerichtshof
Entscheidungsdatum
27.06.1991
Geschäftszahl
G158/91,G159/91,G160/91,G161/91,G162/91
Sammlungsnummer
12784
Leitsatz
Gleichheitswidrigkeit der finanzausgleichsrechtlichen Begünstigung der "Wiener Randgemeinden" bei
Verteilung der Ertragsanteile an gemeinschaftlichen Bundesabgabe n seit dem FAG 1989; keine sachliche
Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen den ehemals zu Wien gehörenden Gemei nden und anderen
Gemeinden in ähnlicher geographischer Lage; Notwendigkeit der Beseitigung bzw des schrittweisen A bbaus der
privilegierenden Verteilungsregelung durch den Gese tzgeber ab dem FAG 19 89 im Hinblic k auf die
vorangegangenen Finanzausgleichsverhan dlungen; keine Gleichheitswidrigkeit der analogen Regelung im FAG
1985 angesichts mangelnder V orberatungen un d damit entsprechender Finanzplanung der betroffenen
Gemeinden; Nichterreichung des Ziels der Herbeiführung eines bundesweiten Ausgleichs zwischen den den
Gemeinden zustehenden Finanzmitteln durch Gewährung der als Schl üsselzuweisungen zu wert enden
Finanzzuweisungen gemäß §21 FAG 1985 und FAG 1 989 auf Grund der länderweisen Vorverteilung nach der
Volkszahl; keine Aufhebung des §21 FAG 1985 und FAG 1989, andernfall s Störung des Gesamtsystems des
Finanzausgleichs und damit Widerspruch zu §4 F-VG 1948
Spruch
1.a) §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. Nr. 687/1988, wird als
verfassungswidrig aufgehoben.
Diese Gesetzesbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetz blatt kundzumachen.
b) §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BG Bl. Nr. 544/1984 in der
Fassung der Novelle BGBl. Nr. 384/1986, war nicht verfassungswidrig.
2.a) §21 FAG 1989 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
b) §21 FAG 1985 war nicht verfassungswidrig.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Beim Verfassun gsgerichtshof sind zu A7/9 0, A640/90, A641/90, A1163/90 und A2158/90 Verfahren
über (auf Art137 B-VG gestützte) Klagen von Gebietskörperschaften anhängig, mit denen jeweils gegen eine
oder mehrere andere Gebietskörperschaft(en) bestimmte vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht
werden. Die Forderungen w erden ausschließlich damit begründet, daß in den Klagen näher bezeichnete
finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen (nämlich in allen Klagen (u.a.) §8 Abs3 vorletzt er Satz FAG 1985 und
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FAG 1989, in den zu A641/90 und A1163/90 erhobene n Klagen darüber hinaus §21 FAG 1985 und FAG 1989)
verfassungswidrig seien. Eine verfassungskonforme Regelu ng hätte zur Folge, daß ein Teil der Gemeinden aus
dem Finanzausgleich zu wenig erhalten habe - diese Gemeinden stellen daher Nachforderungsansprüche -, und
daß ein anderer Teil der Gemeinden zu viel bekommen habe - was zu Rückforder ungsansprüchen führt.
b) Der Verfassungsgerichtshof hat am 13. März 1991 beschlossen, aus näher dargelegten Gründen (s.u. II.A.3.
und II.B.3.) gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen folgende Gesetzesprüfungsverfahre n einzuleiten:
aa) Aus Anlaß der zu A7/90, A640/90 und A2158/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BGBl.
544/1984 in der Fassung der Novelle BGBl. 384/1986, sowie des §8 Abs3 vorletzter Satz des
Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. 687/1988, sowie
bb) aus Anlaß der zu A641/90 un d A1163/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des §21 FAG 1985
sowie des §8 Abs3 vorletzter Satz und des §21 FAG 1989.
2.a) Im Gesetzesprüfungsverfahren e rstattete die Bundesregierung eine Äußerung. Sie beantragt, §8 Abs3
vorletzter Satz und §21 FAG 1989 nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sowie auszusprechen, daß §8 Abs3
vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und §21 FAG 1985 nicht verfassungswidrig waren (s.u. II.A.3.
und II.B.3.b.). Sie regt für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof anders entscheiden sollte, an, von Art140
Abs7 zweiter Satz (zweiter Halbsatz) B-VG Gebrauch zu machen.
Ferner gaben im Gesetzesprüfungsverfahren zwei Beteiligte (nämlich Parteien in den Anlaß-Klageverfahren
A1163/90 und A2158/90), und zwar die Gemeinden An dau und Eisenstadt, Äußerungen ab. Sie unterstrichen die
vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken.
b) Wegen der möglichen besonderen Bedeutung, die das Ergebnis dieses Gesetzesprüfungsverfahrens auch für
die anderen Gebietskör perschaften haben kann, wurden sämtliche Landesregierungen sowie der Österreichische
Städtebund und der Österreichische Gemeindebund eingelade n, Stellungnahmen abzugeben. Hievon machten die
Kärntner, Niederösterreichische, Salzburger, Tiroler, Vorarlberger und Wiener Landesregierung sowie der
Österreichische Städtebund Gebrauch.
Die Kärntner, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger Landesregierung erachte n §8 Abs3 vorletzter Satz FAG
1985 und 1989 als verfassungswidrig. Die Niederösterreichische Landesregierung tritt den Bedenken des
Verfassungsgerichtshofes entgegen. Die Wiener Landesregierung meint, die im FAG 1985 enthaltene Regelung
sei verfassungsrechtlich unbedenklich. (Näheres s.u. II.A.3.).
Die Niederösterreichische Landesregierung gab zu §21 FAG 1985 und 1989 keine Äußerung ab. Die Kärntner
Landesregierung hält zwar die länderweise Vorverteilung als solche für verfassungskonform; sie wendet sich
aber gegen die länderweise Vorverteilung nach der Volkszahl. Die übrigen Landesregierungen treten dafür ein,
§21 FAG 1985 und 1989 nicht als verfassungswidrig zu erkennen.
Der Österreichische Städtebund verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des §21 FAG und betont, daß er sich in
Ansehung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 pakttreu verhalten wolle.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
A. Zu §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1985 (idF der Novelle 1986) und §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989
1. Zur Rechtslage
a) Alle klagenden G ebietskörperschaften stützen die Klagebegehren darauf, daß für jeweils näher bezeichnete
Zeiträume ab 1985 die Ertragsanteile an den meisten gemeinscha ftlichen Bundesabgaben nach ei nem Schlüssel
verteilt würden, der verfassungswidrig sei.
U.a. bringen sie Bede nken ob der Verfassungsmäßigkeit der für die sogenannten "Wiener Randgemeinden"
geltenden besonderen Verteilungsregel vor.

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