Entscheidungstexte nº G211/03. VfGH. 13-03-2004

Date13 Marzo 2004
13.03.2004
www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 34
Gericht
Verfassungsgerichtshof
Entscheidungsdatum
13.03.2004
Geschäftszahl
G211/03
Sammlungsnummer
17173
Leitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit des Budgetbegleitgesetzes 2003; keine relevante Verletzung der Bestimmungen
der Geschäftsordnung des Nationalrates hinsichtlich der Beschlußf assung im Plenum; keine Verletzung des
demokratischen und des rechtsstaatlichen Grundprinzips der Verfassung durch das vorliegende "Sammelgesetz";
ausreichende Verständlichkeit und Auffindbarkeit der Normen; keine Zulässigkeit des Drittelantrags von
Nationalratsabgeordneten hinsichtlich bereits außer Kraft getretener Bestimmungen
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen, soweit er sich gegen Art 7 Z5, Z11, Z14 und Z16 (soweit §207n Abs1,
§236c Abs1, §284 Abs50 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 und Z1.2.4. lite der Anlage 1 zum Beamten-
Dienstrechtsgesetz 1979 betroffen sind), Art8 Z1 bis 9, Z12 bis 15, Z18 bis 24 und Z27 (soweit §28 Abs1, §31
Abs2, §42 A bs1, §48 Abs1, §48a A bs1, §55 Abs1, §65 Abs1, §72 Abs1, §74a Abs1, §85 Abs1, §8 7 Abs2, §89
Abs1, §109 Abs1, §114 Abs2 Z1 bis 5, §117a Abs2, §118 Abs3, 4 und 5, §158 Abs2 und §165 Abs1 des
Gehaltsgesetzes 1956 und ArtIV Abs3 der 31. Gehaltsgesetz-Novelle BGBl. Nr. 662/1977 betroffen sind), Art9
Z1 bis 5, Z9 bis 20, Z23 (soweit §2c Abs2, §11 Abs1, §14 Abs1, §41 Abs 1, §44, §49q Abs1 und Abs1a, §49v
Abs1, §54, §56, §61 Abs1, §71 Abs1, §71 Abs2, §72 Abs1, §72 Abs2, §73 Abs2, §74 Abs2, §95 Abs1 und 1a
und §100 Abs36 des Vertragsbedienstetengesetzes 1948 betroffen sind), Art10 Z1, Z1a, Z9, Z9a und Z10
(soweit §66 Abs1, §67 Z1 und Z2, §166e Abs1, §168 Abs2 und §1 73 Abs33 des Richterdienstgesetzes betroffen
sind), Art11 Z3, Z10 und Z13 (s oweit §13a Abs1, §115e Ab s1 und §123 Abs43 des Landeslehrer-
Dienstrechtsgesetzes 1984 betroffen si nd), Art12 Z3, Z10 und Z13 (soweit §13a Abs1, §124e Abs1 und §127
Abs31 des Land- und forstwirtschaftlichen Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes 1 985 betroffen sind), Art14 Z5,
Z6a, Z11 bis 13, Z16, Z16a, Z21 und Z26 (soweit §9, §25a Abs4, §61 Abs3, §88 Abs1, §90 Abs1, 2, 3, 6 und 7,
§90a, §91 Abs6, §93 Abs5, §94 Abs5 und §102 Abs44 Z 2 des Pensionsgesetzes 1965 betroffen sind), Art15 Z5,
Z12, Z15, Z17 und Z20 (soweit §5b Abs2, §18a Abs1, §18f Abs5, §18h Abs1, §18j Abs2 und 5 und §18k des
Bundestheaterpensionsgesetzes betr offen sind), Art18 Z1, Z10 und Z11 (soweit §2 Abs1, §60 Abs5, §64 Abs2
und 3 des Bundesbahn-Pensionsgesetzes betroffen sind), Art19 Z1 bis 5 (soweit §2 Abs8 und §21 des
Bundesbahngesetzes 1992 betroffen sind), Art39 Z7, Z27, Z32, Z32a, Z33 litc, Z35 lita, und Z36 (soweit §11a
Abs7, §37 A bs8, §93 Abs3 Z4, §94 Z10, §94a Ab s2 Z1, §97 Abs1 und §98 Z5 des EStG 1988 betroffen sind),
Art40 Z3 und Z5 (soweit §22 Abs2 Z4 und §26a Abs16 Z2 des Körperschaftsteuergesetzes 1 988 betroffen sind),
Art41 Z1 und Z10 litb (soweit §30 Abs3 und §20 Abs6 Z2 Umgründun gssteuergesetz betroffen sind), Art42 Z5a,
Z6, Z8, Z10, Z11, Z12 und Z18 (soweit §6 Abs1 Z6 litd, §11 Abs1, §14 Abs1 Z1, §19 Abs2 Z1 litb, §20 Abs1
zweiter Satz, §20 Abs2 Z2 und §26 Abs5 des UStG 1994 betroffen sind), Art54 Z7 (soweit §4 Abs4 des
Energieabgabenvergütungsgesetzes betroffen ist), Art73 Teil 2 Z2, Z2b, Z3a, Z6a, Z41, Z44 sowie Teil 3 Z16
und Z17 (soweit §70b Abs1,
§70b Abs2, §91 Abs1, §103 Abs2, §227 Abs1 Z1, §415 Abs1 und 3, §460b Z1 litb, §607 Abs7, 9, 11, 12, 13,
17a, 18 und 23 des ASVG betroffen sind), Art74 Teil 2 Z1a, Z2, Z3a, Z4a, Z5a und Z32 (soweit §25 Abs6a,
§33a Abs1, §33a Abs2, §60 Abs1, §71 Abs2, §116 Abs7, §298 Abs1 Z1 und 2, Abs2 Z2, Abs7, 9, 11, 12, 13, 16,
18 des GSVG betroffen sind), Art75 Teil 1 Z8, Art75 Teil 2 Z2, Z3a, Z4a, Z5a und Z32 (sowei t §33c,
§56 Abs1, §67 Abs2, §107 Abs7, §286, §287 Abs1 Z1, Abs3, 7, 9, 11, 12, 13, 16 und 18 des Bauern-
Sozialversicherungsgesetzes betroffen sind), Art 76 Teil 1 Z5a, Z5b und Z6 sowie Art76 Teil 2 Z1 bis 3 und Z14
(soweit §27a, §206, §44 Abs2 und §159 des Beamten-Kranken- und Unfallversiche rungsgesetzes betroffen sind),
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Art83 Z8, Z17, Z21 und Z27 (soweit §16 Abs1 lito, §27 Abs4, §39a Abs5 und Abs6 sowie §79 Abs70, 72 u nd
73 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 betr offen sind), Art85 Z3, Z4 und Z7 (soweit §35 Abs2, §35
Abs3 und 6 und §78 Abs13 des Arbeitsmarktservicegesetzes betroffen sind) des Budgetbegleitgesetzes 2003,
BGBl. I Nr. 71, richtet.
Im übrigen wird der Antrag abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit ihrem am 19. September 2003 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten, auf Art14 0 B-VG
gestützten Antrag (datiert mit 18. September 2 003) begehren 69 Mitglieder des Nationalrates, das
Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I 71, als verfassungswidrig aufzuheben. Bei der Erlassung dieses
"Sammelgesetzes" seien einerseits das demokratische und rechtsstaatliche Bauprinzip de r Bundesverfassu ng
verletzt, andererseits die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nat ionalrates,
BGBl. Nr. 410/1975 (im folgenden: GOG NR), nicht eingehalten worden. Diese Bedenken werden wie f olgt
begründet:
"1. Nichtauflage des Ausschussberichtes gemäß §44 GOG-NR
Das Budgetbegleitgesetz ist aus folgenden Gründen wegen Verstoßes gegen die zwin gende
Verfahrensvorschrift des §44 GOG verfassungswidrig:
Das Budgetbegleitgesetz 2003 wurde am 11. Juni 2003 in der 20. Sitz ung der XXII. GP des Nationalrates
beschlossen.
Die 20. Sitzung des Nationalrates wurde für 10. Juni 2003, 10.00 Uhr vom Prä sidenten des Nationalrates
einberufen. Nach Bekanntgabe des Einlaufes und anderer Verkündigungen des Präsidenten (z.B.
Redezeitvereinbarung) wurde der Ta gesordnungspunkt 1 eröffnet; der Erstredner begann mi t seinen
Ausführungen um 10.04 Uhr (siehe dazu die Rednerliste der 20. Sitzung des Nati onalrates).
In der 18. Sitzung des Nati onalrates am 4. Juni 2003 war von den Abgeordneten Mag. Molterer und
Scheibner der Antra g gestellt worden, dem Budgetausschuss gem. §43 GOG für seine Beratungen über das
Budgetbegleitgesetz 2003 eine Frist bis 6. Juni 2003 zu setzen. Dieser Antrag war mit den Stimmen von den
Abgeordneten der ÖVP und der FPÖ, also mit der notwen digen einfachen Mehrheit, angenommen worden. E s
war daher dem Budgetausschuss für seine Beratungen über das Budgetbegleitgesetz 2003 eine Frist b is zum 6.
Juni 2003 gesetzt (siehe dazu das Amtliche Protokoll der 18. Sitzung des Nationalrates).
Die Beratungen des Budgetausschusses über das Budge tbegleitgesetz 2003 wurden am Donnersta g, 5. Juni
2003 abgeschlossen (siehe dazu das Amtliche Protokoll des Budgetausschusses).
Gemäß §42 Abs1 GOG hat der Ausschuss am Schluss der Verhandlungen einen Berichterstatter für den
Nationalrat zu wählen, der das Ergebnis der Verhandlungen, insbesondere hinsichtlich der Besc hlüsse des
Ausschusses, in einem schriftlichen Bericht zusammenzufassen hat.
Gemäß §44 Abs1 GOG darf die Verhandlung eines von einem Ausschuss vorzuberatenden Gegenstandes
im Nationalrat in der Regel nicht vor Ablauf von 24 Stunden nach erfolgter Verteilung des Ausschussberichtes
stattfinden. Diese Besti mmung über die 24-stündige Auflagefrist trägt dem Grundsatz der Öffentlichkeit der
Verhandlungen des Nationa lrates (Art32 B-VG) und de m Recht der Abgeordneten auf Information über die
Verhandlungsgegenstände Rechnung (vgl. Atzwanger/Zögernitz, NR-GO3 (1999), 239). Dem ist hinzuzufügen,
dass das GOG von der Verteilung des schriftlichen Ausschussberichtes, wie er von der Parlamentsdirektion
ausgefertigt wird, ausgeht. Nur dieser ist authentisc h und kann Ge genstand de r Verhandlu ngen und
Abstimmungen werden. Eine Publikation des Ausschussberichtes oder von Teilen davon im Internet ist kein
Ersatz für die schriftliche Verteilung der amtlichen Ausfertigung selbst . Die Geschäftsordnung sieht zwingend
die Verteilung schriftlicher Ausschussberichte vor, eine allfällige Publikation im Internet wurde weder bekannt
noch hätte eine solche die Verteilung des Ausschussberichtes ersetzen können.
Zusätzlich führen Atzwanger/Zögernitz aus, dass dem Gesetzeswortlaut dann entsprochen wird, wenn die
Verhandlung über die Vorlage nicht vor A blauf der Frist beginnt. Dem Sinn des Gesetzes - einer entspreche nden
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Information der Abgeordneten - ist jedoch nur entsprochen, wenn die Sitzung, auf deren Tagesordnung die
Vorlage steht, nicht vor Ablauf der 24-stündigen Aufliegefrist beginnt.
Diese Bestimmung gewinnt im gegenständliche n Fall unzweifelhaft a n Bedeutung: Der reine Gesetzestext
des Budgetbegleitgesetzes 2003 umfasst nämlich 207 DIN-A4-Seiten. Die erläuternden Bemer kungen i nkl.
Textgegenüberstellung der Regierungsvorlage (59 dB XXII. GP) belaufen sic h auf 540, der - zu spät ve rteilte -
Ausschussbericht immerhin noch a uf 33 A4-Seiten. Das zur Debatte am 10. Juni gelangende Konvolut umfasste
also insgesamt 780 A4-Seiten. Auch wenn die Regierungsvorlage bereits längere Zeit im Nationalrat aufgelegen
ist und sich die Abgeordneten informieren hät ten können, so ist doch der Ausschussbericht in Zusammenhang
mit der Regierungsvorla ge maßgeblich für eine Vorbereitung auf die Debatte, denn nur daraus geht hervor, was
tatsächlich in Verhandlung steht. Diese Überlegung trifft zwar immer zu, jedoch bei Sammelgesetzen diesen
Ausmaßes ganz besonders.
Der Geschäftsordnungsgesetzgeber hat mit §44 Abs2 GOG einen einzigen Tatbestand vorgesehen, wie von
dieser 24-stündigen Auflagefrist abgesehen werden kann:
'(2) N ur aufgrund eines Vorschla ges des Präsidenten und des darüber mit 2/3-Mehrheit gefassten
Beschlusses des Nationalrates kann von der Vervielfältigung des Ausschussberichtes und von der 24-stündigen
Frist abgesehen werden.'
Der Geschäftsordnungsgesetzgeber hat daher diese 24-Stunden- Frist unter einen besonderen Schutz gestellt.
Sie kann nur auf Vorschlag des Präsidenten - also nicht auf Antrag eines Abgeordneten - und mit qualifizierter
Mehrheit - nämlich mit 2/3-Mehrheit - verkürzt werden. Eine weitere Möglichkeit von dieser Frist abzusehen,
sieht das Geschäftsordnungsgesetz nicht vor.
Der Ausschussbericht des Budgetausschusses über das Budget begleitgesetz (111 d.B.) wurde den
Abgeordneten am Dienstag, 10. Juni 2003, 7.45 Uhr zugestellt. Die Zustellung erfolgte dabei durch Zustellung in
die Räumlichkeiten des Parlamentsklubs der SPÖ. Sollte d ieser Zeitpunkt bestritten werden, lässt er sich leicht
durch Verneh mung der mit der Verteilung beauftragten Bediensteten der Parlamentsdirektion und der mit der
Übernahme im SPÖ-Klub betrauten Bediensteten feststellen.
Den 69 Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Österreichs wurde daher der Ausschussbericht zum
Budgetbegleitgesetz 2003 (111 d.B.) nicht 24 Stunden vor der Aufnahme der Beratungen (oder Beginn der
diesbezüglichen Nationalratssitzung), sondern lediglich et was mehr als zwei Stunden vor Beginn der Beratungen
zugestellt.
Die Aufnahme des Berichtes des Budgetausschusses über das Budgetbegleitgesetz 2003 auf die
Tagesordnung der 20. Sitzung des Nati onalrates erfolgte daher gegen die Bestimmung des §44 Abs1 GOG und
war daher geschäftsordnungswidrig. Eine A ufnahme dieses Berichtes auf die Tagesordnung hätte gemäß §44
Abs2 GOG nur dann erfolgen dürfen, wenn der Präsident des Nationalrates einen Vorschlag auf Absehen von
der 24-stündigen A uflagefrist gestellt hätte und dieser Vorschlag die 2/3-Mehrheit der anwesenden
Abgeordneten gefunden hätte.
Wird dagegen eingewandt, dass dem Budgetausschuss zur Berichterstattung eine Frist mit 6. Juni 2003
gesetzt wurde, so ist auf die Bestimmung des §44 Abs 3 GOG z u verweisen, die lediglich vorsie ht, dass nach
Ablauf einer dem Ausschuss zur Berichterstattung gesetzten Frist die Verhandlung in der dem Fristablauf
nachfolgenden Sitzung selbst dann zu beginnen hat, wenn ein schriftlicher Ausschus sbericht nicht vorliegt. Diese
Bestimmung derogiert jedoch den Bestimmungen des §44 Abs1 und 2 GOG nicht, da eine Erfüllung der
Fristsetzung auch dadurch möglich ist, dass - falls ein Ausschussbericht nicht vorliegt oder nicht rechtzeitig
verteilt werden kann - die Regierungsvorlage auf die Tagesordnung gestellt wird. In diesem Fall wäre aber nicht
über die Vorlage für das Budgetbegleitgesetz 2003 in der Fassung des Ausschussberichtes, sondern in der der
Regierungsvorlage zu verhandeln und abzustimmen gewesen.
Der nicht näher begründeten Meinu ng von Atzwanger/Zögernitz, dass im Fall einer Fristsetzung das Gesetz
die Einhaltung der 24-stündi gen Aufliegefrist nicht vorsieht, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten
werden, da sich ein solcher Ansatz weder aus dem klaren Gesetzes wortlaut, noch aus einem zwingenden
Interpretationsgrundsatz ergibt.
Vielmehr hat der Geschäftsordnungsgesetzgeber selbst eine Wertung vorgenommen:

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