Entscheidungstexte nº G233/2014 ua. VfGH. 30-06-2015

ECLIECLI:AT:VFGH:2015:G233.2014
Date30 Junio 2015
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
Verfassungsgerichtshof
Freyung 8, A-1010 Wien
www.verfassungsgerichtshof.at
G 233/2014-15, G 5/2015-16
30. Juni 2015
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Verfassungsgerichtshof hat unter dem Vorsitz des
Präsidenten
Dr. Gerhart HOLZINGER,
in Anwesenheit der Vizepräsidentin
Dr. Brigitte BIERLEIN
und der Mitglieder
Dr. Markus ACHATZ,
Mag. Dr. Eleonore BERCHTOLD-OSTERMANN,
Dr. Sieglinde GAHLEITNER,
DDr. Christoph GRABENWARTER,
Dr. Christoph HERBST,
Dr. Michael HOLOUBEK,
Dr. Helmut HÖRTENHUBER,
Dr. Claudia KAHR,
Dr. Georg LIENBACHER,
Dr. Rudolf MÜLLER,
Dr. Johannes SCHNIZER und
Dr. Ingrid SIESS-SCHERZ
als Stimmführer, im Beisein des verfassungsrechtli chen Mitarbeiters
Dr. Martin WITTMANN
als Schriftführer,
G 233/2014-15,
G 5/2015-16
30.06.2015
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über die Anträge des VERWALTUNGSGERICHTES WIEN, die Wortfolge "Kriminal-
polizei oder" in § 106 Abs. 1 erster Halbsatz StPO idF BGBl. I 195/2013, in eventu
§ 106 Abs. 1 Z 2 leg.cit. unter Ausschluss des letzten Wortes "wurde", jedoch
einschließlich des vorangehenden Wortes "oder" sowie der Ziffernbezeichnung
"1." als verfassungswidrig aufzuheben, in seiner heutigen nichtöffentlichen
Sitzung gemäß Art. 140 B-VG zu Recht erkannt:
I. Die Wortfolge "Krimina lpolizei oder" in § 106 Abs. 1 der Strafprozeßordnung
1975 (StPO), BGBl. Nr. 631, idF BGBl. I Nr. 195/2013 wird als verfassungswid-
rig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 2016 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht w ieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche
im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit den vorliegenden, auf Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG gestützten Anträgen
begehrt das Verwaltungsgericht Wien aus Anlass zweier bei ihm anhängiger
Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher
Befehls- und Zwangsgewalt, die Wortfolge "Kriminalpolizei oder" im ersten Satz
des § 106 Abs. 1 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl. 631, in der Fassung
des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2013, BGBl. I 195, in eventu § 106
Abs. 1 Z 2 leg.cit. unter Ausschluss des letzten Wortes "wurde", jedoch ein-
schließlich des vorangehenden Wortes "oder" sowie der Ziffernbezeichnung "1."
als verfassungswidrig aufzuheben.
Nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes verstößt die Regelung gegen
Art. 83 Abs. 2 B-VG, Art. 13 EMRK sowie "hilfsweise" gegen Art. 47 GRC, Art. 6
EMRK und Art. 7 B-VG. Im Kern hegt es das Bedenken, dass im Falle polizeilichen
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Handelns die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Einspruch wegen Rechts-
verletzung an die ordentlichen Gerichte gemäß § 106 Abs. 1 StPO einerseits und
der Maßnahmenbeschwerde an die Verwaltungsgerichte gemäß Art. 130 Abs. 1
Z 2 B-VG andererseits unklar sei.
II. Rechtslage
1.1. Nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG (idF BGBl. I 51/201 2) "[erkennen d]ie Verwal-
tungsgerichte [...] über Beschwerden [...] gegen die Ausübung unmittelbarer
verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt". Nach Art. 131 Abs. 1 B-VG
sind für derartige Maßnahmenbeschwerden grundsätzlich die La ndesverwal-
tungsgerichte zuständig, das Bundesverwaltungsgericht jedoch dann, wenn diese
Rechtssachen Angelegenheiten des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehör-
den besorgt werden, betreffen.
Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 7 Abs. 4 zweiter Satz Verwaltungsgerichts-
verfahrensgesetz (VwGVG) sechs Wochen und beginnt gemäß Z 3 "mit dem
Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer
verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber
durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen,
mit dem Wegfall dies er Behinderung".
1.2.1. In einer au f die Sicherheitsverwaltung zugeschnittenen Formulie rung
wiederholt § 88 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. 566/1991, idF BGBl. I
161/2013 die bereits in der Bu ndesverfassung grundgelegte Zuständigkeit der
Landesverwaltungsg erichte:
"(1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen,
die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehörd licher
Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130
Abs. 1 Z 2 B-VG)."
Darüber hinaus erkennen die Landesverwaltungsgerichte gemäß § 88 Abs. 2 SPG
über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise (als durch
Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt)
durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt zu sein.
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