Bundesgesetz vom 20. Oktober 1988 über die Rechtspflege bei Jugendstraftaten (Jugendgerichtsgesetz 1988 ? JGG)

Der Nationalrat hat beschlossen:

Artikel I ERSTER ABSCHNITT Begriffsbestimmungen

§ 1. Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist 1. Unmündiger: wer das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat;

  1. Jugendlicher: wer das vierzehnte, aber noch nicht das neunzehnte Lebensjahr vollendet hat;

  2. Jugendstraftat: eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die von einem Jugendlichen begangen wird;

  3. Jugendstrafsache: ein Strafverfahren wegen einer Jugendstraftat.

    ZWEITER ABSCHNITT Familien- und jugendwohlfahrtsrechtliche Verfügungen Allgemeines

    § 2. (1) Wird einem Unmündigen oder Jugendlichen eine mit Strafe bedrohte Handlung angelastet und ist aus diesem Anlaß eine Gefährdung seiner persönlichen Entwicklung zu besorgen, so ist zu prüfen, ob familienrechtliche oder jugendwohlfahrtsrechtliche Verfügungen erforderlich sind.

    (2) Ob Verfügungen nach Abs. 1 zu treffen sind,

    entscheidet das Vormundschafts- oder Pflegschaftsgericht,

    während eines gegen einen Jugendlichen anhängigen Strafverfahrens jedoch das Strafgericht.

    Verfahren

    § 3. Entscheidet das Strafgericht über Verfügungen nach § 2 Abs. 1, so sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und die Strafprozeßordnung 1975 mit folgenden Abweichungen und Ergänzungen anzuwenden:

  4. Dringend gebotene Verfügungen können sogleich getroffen werden. Jedenfalls anläßlich der das Verfahren erledigenden Entscheidung hat das Gericht durch Beschluß auszusprechen,

    ob die getroffene Maßnahme aufrecht bleibt, geändert oder durch andere Maßnahmen ersetzt wird.

  5. Verfügungen sind mit Beschluß zu treffen. Im Vorverfahren hat der Untersuchungsrichter,

    in der Hauptverhandlung das erkennende Gericht, sonst der Vorsitzende zu entscheiden.

  6. Vor der Verfügung hat das Gericht den Jugendwohlfahrtsträger zu hören. Ferner sind der Jugendliche, die Erziehungsberechtigten,

    die Pflegeeltern, ein allenfalls bestellter Bewährungshelfer und, wenn eine besondere Einrichtung für Jugendgerichtshilfe (§ 47)

    besteht, auch diese zu hören, es sei denn, daß

    durch den damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Jugendlichen gefährdet wäre.

  7. Beschlüsse nach Z 2 sind auch dem Jugendwohlfahrtsträger sowie allen Personen zuzustellen,

    deren Rechte und Pflichten von der Entscheidung unmittelbar betroffen sind.

  8. Gegen Beschlüsse nach Z 2 steht das Rechtsmittel der Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu, das binnen vierzehn Tagen nach Zustellung des Beschlusses einzubringen ist. Die Beschwerde steht der Staatsanwaltschaft,

    dem Jugendwohlfahrtsträger, dem Jugendlichen und allen anderen Personen zu,

    die zugunsten eines Minderjährigen Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil erheben können oder denen die Entscheidung gemäß

    Z 4 zuzustellen ist.

  9. Die Beschwerde kann mit einer rechtzeitig eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung gegen das Urteil verbunden werden,

    das zugleich mit dem angefochtenen Beschluß

    ergangen ist.. In diesem Fall oder wenn sonst gegen das zugleich mit dem angefochtenen Beschluß ergangene Urteil Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung erhoben wird, entscheidet der für deren Erledigung zuständigeGerichtshof auch über die Beschwerde.

  10. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung.

    Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht jedoch in seiner Entscheidung aussprechen,

    daß einer Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukomme und daß die Entscheidung sofort wirksam werde.

    DRITTER ABSCHNITT Jugendstrafrecht Straflösigkeit von Unmündigen und Jugendlichen

    § 4. (1) Unmündige, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, sind nicht strafbar.

    (2) Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht strafbar, wenn 1. er aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln,

  11. er vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres ein Vergehen begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten, oder 3. die Voraussetzungen des § 42 StGB vorliegen.

    Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten

    § 5. Für die Ahndung von Jugendstraftaten gelten die allgemeinen Strafgesetze, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist:

  12. Die Anwendung des Jugendstrafrechts hat vor allem den Zweck, den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten.

  13. An die Stelle der Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und der Androhung einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe tritt,

    1. wenn ein Jugendlicher die Tat nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres begangen hat, die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren,

    2. sonst die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren.

  14. An die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren tritt die Androhung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

  15. Das Höchstmaß aller sonst angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen wird auf die Hälfte herabgesetzt; ein Mindestmaß entfällt.

  16. Das nach Tagessätzen bestimmte Höchstmaß

    von Geldstrafen wird auf die Hälfte herabgesetzt.

  17. Geldstrafen, deren Bemessung sich nach derHöhe eines Wertes, Nutzens oder Schadensrichtet, einschließlich Verfallsersatz- und Wertersatzstrafen, sind nur zu verhängen,

    soweit sie das Fortkommen des Beschuldigten nicht gefährden.

  18. Für die Einteilung der strafbaren Handlungen nach § 17 StGB und die Anwendung des

    § 42 StGB ist nicht von den durch die Z 4

    geänderten Strafdrohungen auszugehen.

  19. Die §§ 37 Abs. 2 und 41 Abs. 2 StGB gelten nicht für Jugendstraftaten.

  20. Die §§ 43 und 43a StGB können auch angewendet werden, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei bzw. drei Jahren erkannt wird oder zu erkennen wäre.

  21. In gesetzlichen Bestimmungen vorgesehene Rechtsfolgen treten nicht ein.

    Verfolgungsverzicht der Staatsanwaltschaft

    § 6. (1) Die Staatsanwaltschaft hat von der Verfolgung einer Jugendstraftat abzusehen, die nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, wenn anzunehmen ist, daß

    das Gericht das Verfahren nach § 9 vorläufig einstellen oder nach § 12 keine Strafe aussprechen würde, und weitere Maßnahmen nicht geboten erscheinen, um den Verdächtigen von strafbaren Handlungen abzuhalten. Ein Absehen von der Verfolgung ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.

    (2) Erscheint es geboten, den Verdächtigen über das Unrecht von Taten wie der angezeigten und deren mögliche Folgen förmlich zu belehren, so hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Vormundschafts-

    oder Pflegschaftsgericht diese Belehrung vorzunehmen. Unterbleibt eine Belehrung, so ist der Verdächtige zu verständigen, daß von der Verfolgung abgesehen worden ist.

    Außergerichtlicher Tatausgleich

    § 7. (1) Die Staatsanwaltschaft kann einen Verfolgungsverzicht nach § 6 davon abhängig machen,

    daß der Verdächtige Bereitschaft zeigt, für die Tat einzustehen und allfällige Folgen der Tat auf eine den Umständen nach geeignete Weise auszugleichen,

    insbesondere dadurch, daß er den Schaden nach Kräften gutmacht.

    (2) Die Staatsanwaltschaft kann in der Sozialarbeit erfahrene Personen und Stellen, insbesondere der Bewährungshilfe, ersuchen, den Verdächtigen

    über die Möglichkeit eines außergerichtlichen Tatausgleichs zu belehren und ihn, wenn er damit einverstanden ist, bei seinen Bemühungen um einen solchen Ausgleich anzuleiten und zu unterstützen.

    In diese Bemühungen ist der Verletzte, soweit er dazu bereit ist, einzubeziehen.

    (3) Hat ein außergerichtlicher Tatausgleich stattgefunden,

    so ist § 6 Abs. 2 nicht anzuwenden.

    § 8. (1) Das Gericht hat bis zum Beginn der Hauptverhandlung von Amts wegen oder auf Antrag des Beschuldigten oder des Verletzten die Möglichkeit eines außergerichtlichen Tatausgleichs zu prüfen, wenn die Schuld nicht als schwer anzusehen wäre und eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von strafbaren Handlungen abzuhalten. § 7 Abs. 2 gilt entsprechend.

    (2) Kommt ein außergerichtlicher Tatausgleich zustande, so ist das Strafverfahren nach Anhörung der Staatsanwaltschaft mit Beschluß einzustellen.

    Der Beschluß ist im Vorverfahren vom Untersuchungsrichter,

    sonst vom Vorsitzenden zu fassen.

    Vorläufige Einstellung durch das Gericht

    § 9. (1) Das Gericht hat das Strafverfahren wegen einer Jugendstraftat vorläufig einzustellen,

    wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint, die Schuld nicht als schwer anzusehen und eine Bestrafung nicht geboten wäre, um den Beschuldigten von strafbaren Handlungen abzuhalten.

    Die vorläufige Einstellung ist nur zulässig 1. für eine Probezeit von einem bis zu zwei Jahren oder 2. unter Bestimmung einer oder mehrerer Auflagen

    (§ 19), zu deren Erfüllung sich der Beschuldigte bereit erklärt.

    (2) Die Einstellung für eine Probezeit kann davon abhängig gemacht werden, daß sich der Beschuldigte bereit erklärt, bestimmten Weisungen nachzukommen oder sich durch einen Bewährungshelfer betreuen zu lassen. Zur Erfüllung einer Auflage ist eine angemessene Frist zu setzen. Diese Frist und die Probezeit werden in die Verjährungszeit nicht eingerechnet.

    (3) Ein Beschluß, das Strafverfahren vorläufig einzustellen, kann bis zum Schluß der Hauptverhandlung gefaßt werden. Der Beschluß ist im Vorverfahren vom Untersuchungsrichter, in der Hauptverhandlung vom erkennenden Gericht, sonst vom Vorsitzenden zu fassen. Vor der Beschlußfassung ist die Staatsanwaltschaft zu hören. Vor der Erteilung von Weisungen oder Auflagen oder der Bestellung eines Bewährungshelfers soll auch dem gesetzlichen Vertreter des Beschuldigten Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden.

    § 10. (1) Der Beschluß, das Strafverfahren vorläufig einzustellen, ist dem Beschuldigten, seinem...

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