Rechtssätze nº G95/2021 (G95/2021-96). VfGH. 04-10-2023

ECLIECLI:AT:VFGH:2023:G95.2021
Date04 Octubre 2023
04.10.2023
www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 1
Gericht
Verfassungsgerichtshof
Entscheidungsdatum
04.10.2023
Geschäftszahl
G95/2021 (G95/2021-96)
Leitsatz
Verstoß einer Bestimmung des ASVG betreffend die passive Wahl des Vorsitzenden der
Hauptversammlung der Österreichischen Gesundheitskasse gegen die demokratischen Grundsätze zur
Bildung der Organe eines Selbstverwaltungskörpers; Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der
Obmänner der mandatsstärksten wahlwerbenden Gruppen des Verwalt ungsrates von der W ahl zum
Vorsitzenden der Hauptversammlung
Rechtssatz
Aufhebung des §430 Abs3a letzter Satz ASVG idF BGBl I 100/2018.
Gemäß Art120c Abs1 B-VG sind die Organe der (sonstigen) Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis
ihrer Mitglieder nach de mokratischen Grundsätzen zu bilden. Die Hauptversammlung der ÖGK ist das
satzungsgebende Organ der ÖGK; ihre Bestellung unterliegt zweifellos den Anforderungen des Art120c
Abs1 B-VG. Der Vorsitzende der Hauptversammlung d er ÖGK bzw sein Stellvertreter leiten dieses
Kollegialorgan. Sie bestimmen insbesondere die Tagesordnung, können Tagesordnungspunkte vertagen
und führen die Abstimmungen durch. Angesichts dieser Funktion gelten für die Wahl des Vorsitzenden
der Hauptversammlung der ÖGK bzw dessen Stellvertreter ebenfalls die Anforderungen des Art120c
Abs1 B-VG.
Gemäß §430 Abs3a letzter Satz ASVG dürfen die Vo rsitzenden der Hauptversammlung der ÖGK "nicht
derselben wahlwerbenden Gruppe angehören, der der Ob mann/die Obfrau des Verwaltungsrates
zuzurechnen ist". Für die Wahl der Obmänner des Verwaltungsrates ist die einfache Mehrheit der
Mitglieder des Verwaltungsrates und die einfache Mehrheit der Gruppe (der Dienstnehmer bzw der
Dienstgeber) erforderlich, der die zu wählende Person angehört. Damit fällt diese Obmannfunktion
regelmäßig - demokratischen Grundsätzen entsprechend - den mandatsstärksten wahlwerbenden Gruppen
auf Dienstnehmer- bzw Dienstgeberseite zu. §430 Abs3a letzter Satz ASVG schließt damit im Ergebnis
idR gerade diese mandatsstärksten wahlwerbenden Gruppen von der W ahrnehmung der
Vorsitzendenfunktion in der Hauptversammlung der ÖGK aus. Dies widerspricht den "demokratischen
Grundsätzen" iSv Art120c Abs1 B-VG.
Wenn d ie Bundesregierung zur Rechtfertigung der Regelung ins Treffen führt, die angefochtene
Bestimmung diene "der möglichst unvoreingeno mmenen Kontrolle der Tätigkeit des Verwaltungsrates",
ist ihr entgegenzuhalten, dass die wichtigste Aufgabe der Hauptversammlung in der Satzungsgebung liegt
und dass die Kontrolle der Tätigkeit des Verwaltungsrates Aufgabe der Hauptversammlung und nicht von
deren Vorsitzendem ist. Auch vermag der VfGH nicht zu erkennen, inwiefern - insbesondere angesichts
des Umstandes, dass der Hauptversammlung auch die Mitglieder des Verwaltungsrates angehören - zum
Zweck der möglichst unvorei ngenommenen Kontrolle der Tätigkeit des Verwaltungsrates der Ausschluss
von (typischerweise) Angehörigen der mandatsstärksten wahlwerbenden Gruppen von der Funktion des
Vorsitzenden(-stellvertreters) der Hauptversammlung erforderlich ist.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2023:G95.2021

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT