Bundesgesetz vom 25. Juli 1956, betreffend die Durchführung einzelner Bestimmungen des IV. Teiles des Staatsvertrages (1. Staatsvertragsdurchführungsgesetz).

Der Nationalrat hat beschlossen:

  1. Allgemeine Bestimmungen.

    § 1. (1) Gegenstand dieses Bundesgesetzes bilden die auf Grund des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich vom 15. Mai 1955,

    BGBl. Nr. 152/1955 (Staatsvertrag), zufolge der

    Übertragung durch die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Republik Frankreich

    (Vier Mächte) in das Eigentum der Republik

    Österreich übergegangenen sowie die sonstigen durch eine der Vier Mächte im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag übergebenen Vermögenschaften,

    Rechte und Interessen (Vermögenswerte).

    (2) Als beansprucht oder innegehabt im Sinne des Art. 22 des Staatsvertrages gelten Vermögenswerte,

    welche am 8. Mai 1945 einer deutschen physischen oder juristischen Person (§ 2) oder dem Deutschen Reich oder einer seiner Einrichtungen

    (§ 3) gehört haben.

    (3) Vermögenswerte einer juristischen Person mit dem Sitz im Inlande, welche von einer Besatzungsmacht innegehabt oder beansprucht wurden,

    weil Anteilsrechte an der juristischen Person am 8. Mai 1945 einer deutschen juristischen oder physischen Person gehört haben, gelten nicht als in das Eigentum der Republik Österreich übergegangen;

    als übergegangen gelten jedoch die Anteilsrechte an juristischen Personen mit dem Sitze im Inland, weiche am 8. Mai 1945 einer deutschen physischen oder juristischen Person (§ 2) oder dem Deutschen Reich oder einer seiner Einrichtungen

    (§ 3) gehört haben.

    Deutsche physische und juristische Personen.

    § 2. (1) Eine deutsche physische Person im Sinne dieses Bundesgesetzes ist eine Person, die am 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen und diese nicht infolge einer vom Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945 angeordneten Sammeleinbürgerung oder im Zuge einer Umsiedlungsaktion erworben hat.

    (2) Besaß eine Person am 8. Mai 1945 zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten, von denen eine die österreichische und eine die deutsche war, so gilt die Person nicht als deutsch im Sinne dieses Bundesgesetzes.

    (3) Besaß eine Person nichtösterreichischer Staatsangehörigkeit am 8. Mai 1945 zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten, von denen eine die deutsche war, so gilt die Person als deutsch im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn sie am 27. Juli 1955 einen Wohnsitz im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 hatte.

    (4) Eine deutsche juristische Person im Sinne dieses Bundesgesetzes ist eine juristische Person,

    die am 8. Mai 1945 ihren Sitz im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 gehabt hat. Das Deutsche Reich und seine Einrichtungen gelten nicht als deutsche juristische Personen im Sinne dieses Bundesgesetzes.

    Einrichtungen des Deutschen Reiches.

    § 3. (1) Einrichtungen des Deutschen Reiches im Sinne dieses Bundesgesetzes sind die Reichsautobahnen,

    die Organisation Todt, der Reichsnährstand,

    der Reichsarbeitsdienst und die Volksdeutsche Mittelstelle.

    (2) Die Vermögenswerte der Einrichtungen des Deutschen Reiches gelten bei Anwendung dieses Bundesgesetzes als Vermögenswerte des Deutschen Reiches.

    Haftung für Verbindlichkeiten.

    § 4. Der Eigentumsübergang auf Grund des Staatsvertrages begründet eine Haftung der Republik

    Österreich für die Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches, seiner Einrichtungen, deutscher juristischer oder physischer Personen oder sonstiger Voreigentümer nur nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes.

    § 5. (1) Für Verbindlichkeiten, die zwischen dem 8. Mai 1945 und dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes durch Bundesdienststellen oder durch öffentliche Verwalter im Rahmen ihrer Befugnisse für die auf Grund des Staatsvertrages in das Eigentum der Republik Österreich übergegangenen Vermögenswerte des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen eingegangen worden sind, haftet die Republik Österreich jeweils mit dem übergegangenen Vermögenswert (§ 1

    Abs. 1), zu dem die Verbindlichkeit gehört.

    (2) Die Regelung des Abs. 1 gilt auch für Verbindlichkeiten,

    die in Ansehung der in Abs. 1

    genannten Vermögenswerte zwischen dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes und dem 31. Dezember 1956 eingegangen werden.

    (3) Den Verbindlichkeiten gemäß Abs. 1 sind jene Verbindlichkeiten gleichzuhalten, die durch rechtskräftige Erkenntnisse der Rückstellungskommissionen dem Deutschen Reich oder seinen Einrichtungen wegen Untunlichkeit der Rückstellung infolge wirtschaftlicher Umgestaltung des entzogenen Vermögens auferlegt wurden (§ 23

    Abs. 3 des Dritten Rückstellungsgesetzes), ferner Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen auf Grund von Rückstellungs-

    oder Rückgabevergleichen, die im Wege oder von einer zuständigen österreichischen Dienststelle als Maßnahme, betreffend das ehemalige Deutsche Eigentum, genehmigt wurden.

    (4) Dingliche Rechte Dritter, die an Liegenschaften oder bücherlichen Rechten des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen am Tage des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bestehen,

    bleiben aufrecht.

    § 6. (1) Mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes können Ansprüche, die zwischen dem 13. März 1938 und dem 27. Juli 1955 entstanden sind,

    gegen das Deutsche Reich oder seine Einrichtungen weder bei einer inländischen Behörde geltend gemacht noch im Inland vollstreckt werden;

    anhängige streitige Verfahren ruhen und dürfen nicht mehr fortgesetzt werden, andere Verfahren sind einzustellen. Die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehoben.

    (2) Für das Deutsche Reich oder seine Einrichtungen bestellte Kuratoren sind nach dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes unverzüglich zu entheben. Für Kuratorskosten, die vom Deutschen Reich oder seinen Einrichtungen zu tragen wären, haftet die Republik Österreich in sinngemäßer Anwendung des § 5 Abs. 1.

    § 7. (1) Für Verbindlichkeiten, die zu den auf Grund des Staatsvertrages in das Eigentum der Republik Österreich übergegangenen Vermögenswerten gehören und nicht Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen sind,

    haftet die Republik Österreich mit dem Vermögenswert

    (§ 1 Abs. 1), zu dem die Verbindlichkeit gehört (Sondervermögen). Das gesamte aus dem ehemaligen Eigentum einer deutschen physischen oder juristischen Person in das Eigentum der Republik Österreich übergegangene Vermögen ist als ein Sondervermögen anzusehen.

    (2) Bis zum 31. Dezember 1956 können Ansprüche aus Verbindlichkeiten gemäß Abs. 1

    gegen die Republik Österreich weder bei einer inländischen Behörde geltend gemacht noch im Inland vollstreckt werden; die Zeit vom Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bis zum 31. Dezember 1956 wird in die Verjährungs- oder Ausschlußfristen nicht eingerechnet. Soweit aber für die in das Eigentum der Republik Österreich

    übergegangenen Vermögenswerte ein öffentlicher Verwalter bestellt ist, ist die Geltendmachung und Vollstreckung zulässig.

    § 8. Der Eigentumsübergang von Vermögenswerten auf Grund des Staatsvertrages begründet kein Erlöschen der Rechte und Verbindlichkeiten durch Vereinigung (§ 1445 ABGB.).

    § 9. Über Vermögenswerte, die auf Grund des Staatsvertrages in das Eigentum der Republik

    Österreich übergegangen und als Sondervermögen anzusehen sind, ist bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit ein abgesondertes Konkursverfahren zulässig.

    Verwaltung des ehemaligen Eigentums des Deutschen Reiches und seiner Einrichtungen.

    § 10. (1) Zur Verwaltung der in das Eigentum der Republik Österreich übergegangenen ehemaligen Vermögenswerte des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen sind die mit dem entsprechenden Aufgabenkreis betrauten Bundesdienststellen und — soweit der Landeshauptmann gemäß

    Art. 104 B.-VG. in der Fassung von 1929

    mit einem solchen Aufgabenkreis betraut ist —

    dieser zuständig. Soweit besondere öffentliche Verwaltungseinrichtungen des Bundes nicht bestehen,

    ist das Bundesministerium für Finanzen zuständig.

    (2) Die Republik Österreich kann innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes durch schriftliche Erklärung der nach Abs. 1 zur Verwaltung der in das Eigentum der Republik Österreich übergegangenen Vermögenswerte zuständigen Dienststelle in Verträge des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen eintreten, die bis zum 27. Juli 1955 nicht oder nicht ganz erfüllt worden sind oder deren Dauer noch nicht abgelaufen ist.

    § 11. (1) Bei Liegenschaften, als deren grundbücherlicher Eigentümer das Deutsche Reich oder eine seiner Einrichtungen eingetragen sind, hat das Grundbuchsgericht auf Grund eines unter Berufung auf den Staatsvertrag gestellten Antrages der Finanzprokuratur das Eigentumsrecht der Republik Österreich einzuverleiben. Dies gilt sinngemäß für jede Übertragung anderer zugunsten des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen eingetragener bücherlicher Rechte auf die Republik Österreich. Der Antrag der Finanzprokuratur gilt als Urkunde im Sinne des § 33 Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955.

    (2) Der Republik Österreich ist zu Handen der Finanzprokuratur zuzustellen; gleichzeitig ist die nach § 10 Abs. 1 zuständige Dienststelle durch

    Übermittlung einer Beschlußausfertigung zu verständigen.

    An das Deutsche Reich, seine Einrichtungen oder an eine der Vier Mächte ist nicht zuzustellen.

    Übereignung an Personen österreichischer Staatsbürgerschaft.

    § 12. (1) Aus dem ehemaligen Eigentum einer deutschen physischen Person in das Eigentum der Republik Österreich übergegangene Vermögenswerte gelten als am Tage des Inkrafttretens des Staatsvertrages dieser physischen Person übereignet,

    wenn sie spätestens am 27. Juli 1955 die

    österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat.

    (2) Abs. 1 gilt sinngemäß für den Erbfall nach einer vor dem 27. Juli 1955 verstorbenen deutschen Person, wenn der Erbe spätestens an diesem Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat. Diese...

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