Entscheidungs 1Ob199/22d. OGH, 15-05-2023

ECLIECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00199.22D.0515.000
Judgement Number1Ob199/22d
Date15 Mayo 2023
Record NumberJJT_20230515_OGH0002_0010OB00199_22D0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* S*, Deutschland, vertreten durch die Heinisch Weber Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 63.853,78 EUR sA und Feststellung (Streitwert 31.000 EUR), über die Rekurse beider Parteien und den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Juli 2022, GZ 14 R 57/22p-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Jänner 2022, GZ 31 Cg 25/20d-18, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen sowie die klagende Partei mit ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihrer Anträge nach §§ 184, 303 ZPO auf diese Entscheidung verwiesen wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:18, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen sowie die klagende Partei mit ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihrer Anträge nach Paragraphen 184,, 303 ZPO auf diese Entscheidung verwiesen wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Den römisch eins. Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, und es wird in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 12.757,50 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 6.104 EUR Pauschalgebühr) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. römisch II. Die klagende Partei wird mit ihrem Revisionsrekurs auf die Entscheidung über ihren Rekurs verwiesen.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten für die Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Ende 2019 trat in China eine bis dahin unbekannte Erkrankung auf, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht wird und deshalb später die Kurzbezeichnung COVID-19 erhielt. Diese von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheit breitete sich rasch weltweit aus.

[2] Am 25. 1. 2020 empfahl das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) allen Mitgliedstaaten der Union, sich auf eine Einschleppung des neuen Virus vorzubereiten. Am 26. 1. 2020 riet es ihnen darüber hinaus, ihre Testkapazitäten zu überprüfen und auszubauen, etwaige Verdachtsfälle über das Europäische Frühwarn- und Reaktionssystem EWRS zu melden und bei positiv Getesteten eine Kontaktpersonennachverfolgung („Contact Tracing“) vorzunehmen.

[3] Noch am selben Tag erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Verordnung BGBl II 2020/15, mit der Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an COVID-19 (dort noch bezeichnet als „2019Noch am selben Tag erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Verordnung BGBl römisch II 2020/15, mit der Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an COVID-19 (dort noch bezeichnet als „2019-nCoV“) der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1959 (EpiG) unterworfen wurden. Mit der weiteren Verordnung BGBl II 2020/21 wurde „2019nCoV“) der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1959 (EpiG) unterworfen wurden. Mit der weiteren Verordnung BGBl römisch II 2020/21 wurde „2019-nCoV“ in die Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen aufgenommen und so die Möglichkeit geschaffen, Absonderungsmaßnahmen nach § 7 EpiG auch wegen SARSnCoV“ in die Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen aufgenommen und so die Möglichkeit geschaffen, Absonderungsmaßnahmen nach Paragraph 7, EpiG auch wegen SARS-CoV-19-Infektionen zu verfügen.

[4] Am 30. 1. 2020 erklärte die WHO den Ausbruch des neuartigen Coronavirus zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite.

[5] Der erste dokumentierte Fall einer Erkrankung an COVID-19 in Österreich betraf eine Person, die sich in Deutschland bei einer chinesischen Staatsangehörigen angesteckt und danach vom 24. bis 26. 1. 2020 in Kühtai (Tirol) aufgehalten hatte. Zwei weitere aus Italien „importierte“ Fälle wurden am 25. 2. 2020 in Innsbruck diagnostiziert. Am 27. 2. 2020 wurden die ersten drei Fälle in Wien entdeckt.

[6] Es folgt eine Chronologie der relevanten Ereignisse:

Dienstag, 3. 3. 2020: An diesem Tag langte im Gesundheitsministerium eine erste EWRS-Meldung aus Island ein, wonach es dort insgesamt 16 COVID-19-Fälle gebe, die allesamt ihren Ursprung in (nicht näher bezeichneten) Skiregionen in Norditalien und Österreich hätten. Sieben von ihnen seien „in Österreich“ gewesen. Mangels näherer Ortsangaben leitete das Ministerium diese Meldung innerhalb Österreichs nicht weiter.

Donnerstag, 5. 3. 2020: Um 0:32 Uhr leitete das Gesundheitsministerium eine von Island im EWRS gesendete Meldung an den Leiter und eine Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion Tirol weiter, wonach acht Gäste aus Island, die ihren Urlaub in Ischgl verbracht hatten, nach ihrer Rückkehr positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren. Um 8:02 Uhr antwortete die Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion darauf mit dem Ersuchen um mehr Informationen, und zwar vor allem, wann, wo und wie lange die Personen in Ischgl gewesen seien und mit wem sie dort Kontakt über 15 Minuten gehabt hätten. Um 9:53 Uhr ersuchte dieselbe Mitarbeiterin das Gesundheitsministerium um mehr Informationen, insbesondere auch zu den Flügen und den Zeitpunkten der Erkrankung der Betroffenen. Um 14:26 Uhr kam ein Antwortmail aus dem Ministerium, wonach die Anfrage in den zuständigen Stellen bearbeitet werde. Um 14:58 Uhr urgierte die Landessanitätsdirektion mit folgendem Mail: „Lässt sich die Sache irgendwie beschleunigen??“

In einer Stabssitzung der Landeseinsatzleitung um 10:00 Uhr war unter anderem auch die Meldung Islands im EWRS Thema. Besprochen wurde, dass noch auf Informationen aus dem Gesundheitsministerium gewartet werde. Seitens der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit wurde in der Sitzung geäußert, „betreffend die unklaren Fälle“ wie Ischgl „sollte eher angedacht werden, derzeit nichts zu kommunizieren, sondern erst, wenn man konkrete Anhaltspunkte und Fakten hat“.

Um 10:20 Uhr langte ein Mail eines Gastes beim Tourismusverband (TVB) Ischgl mit einem verlinkten Zeitungsbericht aus Island ein, demzufolge eine Urlaubergruppe von acht Personen nach vorherigem Aufenthalt in Ischgl positiv auf das Coronavirus getestet worden sei. Selbiges teilte am späten Vormittag das isländische Gesundheitsministerium dem TVB telefonisch mit. Der TVB informierte darüber die Polizeiinspektion Ischgl, die den Einsatzstab der LPD Tirol, den Bezirkspostenkommandanten von Landeck und den Bezirkshauptmann als Gesundheitsbehörde verständigte. Um 13:44 Uhr wurde seitens des Einsatzstabes der LPD Tirol mitgeteilt, dass acht positive Fälle mit Ischgl-Bezug über das Außenministerium bestätigt werden könnten.

Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol informierte um 14:25 Uhr unter anderem den Leiter des Amtes der Tiroler Landesregierung, die Landeswarnzentrale und die Landessanitätsdirektion von Berichten in isländischen Zeitungen über Verbindungen von Coronaerkrankungen isländischer Gäste zu Ischgl. Mit Mail von 14:38 Uhr schrieb die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol an die Tirol Werbung, es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, „bis das aufschlägt“. Sie bereite bereits eine erste Stellungnahme vor.

Der Bezirkshauptmann von Landeck informierte mit Mail von 14:39 Uhr den Leiter des Amtes der Tiroler Landesregierung, dass mit Touristikern, Bürgermeister und Polizei vereinbart worden sei, alle isländischen Urlauber in der Zeit vom 10. 2. bis 28. 2. 2020 mit Namen und Adresse (Telefonnummer), An- und Abreiseart sowie Dauer des Aufenthalts in Ischgl zu erheben.

Um 14:57 und 15:04 Uhr übermittelten zwei Hotels in Ischgl dem TVB Mails einer isländischen Reiseleiterin (vom 3. und 4.3.), wonach nach ihrer Rückkehr nach Island (erstmals) symptomatische und positiv getestete Isländer davon in Kenntnis gesetzt worden seien, dass sich bei ihrer Heimreise eine infizierte Person im Flugzeug befunden habe, die aus einem Skigebiet in Italien gekommen sei. Diese Mails übermittelte der TVB um 15:45 Uhr an den Bezirkshauptmann von Landeck. Der Bezirkshauptmann leitete das Mail um 15:51 Uhr an den Tiroler Landesamtsdirektor mit folgender Nachricht weiter:

„Lieber H*, nach Rücksprache mit HLH hier die beiden E-Mails von zwei infizierten Personen. Sie geben an im Flugzeug von München nach Island infiziert worden zu sein. Das wäre für eine allfällige Presseaussendung der Abt.Öff. wichtig. Damit hätten wir Ischgl vorerst aus dem Schussfeld. Die Liste der Gäste habe ich noch nicht. Vor einer Presseaussendung sollte ich darüber schauen können über Bitte des TVB Ischgl. […]

Um 15:57 Uhr übermittelte eine Mitarbeiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol einen (zweiten) Entwurf einer Medienaussendung an den Büroleiter des Landeshauptmanns von Tirol und an den Leiter der Landessanitätsdirektion Tirol mit der Überschrift „Coronavirus: Isländische Gäste im Tiroler Oberland dürften sich bei Rückreise mit Coronavirus angesteckt haben“, nachdem ein erster Entwurf eine mögliche Ansteckung im Flugzeug auf der Heimreise noch nicht thematisiert hatte, weil die Mails der isländischen Reiseleiterin noch nicht vorgelegen hatten.

Um 15:58 Uhr ging bei der Landessanitätsdirektion folgendes Mail des Gesundheitsministeriums ein:

„hier die erste Info aus Island, etwas konfus aber Hotelnamen, Aufenthaltszeit, Symptombeginn:

Dear colleagues, we have a total of...

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