Entscheidungs 3Ob142/22m. OGH, 25-05-2023

ECLIECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00142.22M.0525.000
Judgement Number3Ob142/22m
Date25 Mayo 2023
Record NumberJJT_20230525_OGH0002_0030OB00142_22M0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 34.298,99 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. März 2020, GZ 1 R 3/20y-58, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 30. Oktober 2019, GZ 31 Cg 48/18k-49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. beschlossenrömisch eins. beschlossen:

Spruch

Das mit Beschluss vom 4. November 2020, AZ 3 Ob 99/20k, gemäß § 90a GOG unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.Das mit Beschluss vom 4. November 2020, AZ 3 Ob 99/20k, gemäß Paragraph 90 a, GOG unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. zu Recht erkanntrömisch II. zu Recht erkannt:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

1. Die Klageforderung besteht mit 34.298,99 EUR zu Recht.

2. Die von der beklagten Partei aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung besteht mit 12.228,55 EUR zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 21.491,97 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. Dezember 2013 Zug um Zug gegen die Rückgabe des Pkw Audi A4 Avant, 2.0 l TDI Start-up mit der Fahrgestellnummer * und den Betrag von 578,47 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. Dezember 2013 Zug um Zug gegen Rückgabe der vier Winterreifen-Kompletträder Wi 16“ RC16 7x16 VAG 5/112 ET46 mit 205/60HR16 Dunlop WS 3D zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 12.228,55 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des genannten Fahrzeugs und der Winterreifen-Kompletträder wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 9.735,50 EUR (hierin enthalten 1.207,15 EUR USt und 2.492,59 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 3.114,93 EUR (hierin enthalten 423,99 EUR USt und 571 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.333 EUR (hierin enthalten 69,53 EUR USt und 915,84 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

und

Entscheidungsgründe:

Zu I.Zu römisch eins.:

[1] Mit Beschluss vom 10. Dezember 2020, 3 Ob 87/20w, wurde das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 14. Juli 2022, C-145/20, die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

Zu II.Zu römisch II.:

[2] Der Kläger erwarb von der beklagten Autohändlerin mit Kaufvertrag vom 8. November 2010 einen fabriksneuen Pkw Audi A4 Avant, 2.0 l TDI Start-up um einen Kaufpreis von 33.400 EUR. Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte am 20. Dezember 2010. An diesem Tag kaufte der Kläger weiters die zum Fahrzeug passenden Winterkompletträder um 898,99 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Type EA 189 der Emissionsklasse „Euro 5“ ausgestattet. Es gehört damit zu jenen Fahrzeugen, für die das deutsche Kraftfahr-Bundesamt (KBA) im Zusammenhang mit der im Herbst 2015 publik gewordenen „Prüfstandsproblematik“ eine technische Überarbeitung im Hinblick auf den Schadstoffausstoß forderte. Für das Fahrzeug des Klägers liegt ein entsprechender Freigabebescheid des KBA seit dem 5. September 2016 vor.

[3] Bei Vertragsabschluss war keiner der Parteien bekannt, dass der Motor des Fahrzeugs wie auch die Motoren der anderen Fahrzeugtypen des VW-Konzerns nach der Type EA 189 aus der Euroschadstoffklasse 5 mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet war, die in der Lage war, zu erkennen, wann das Fahrzeug auf einem Prüfstand betrieben wird. Sobald diese Steuerungssoftware den Prüfmodus erkennt, sorgt sie für ein Umschalten des Motors in den Nox-optimierten Modus 1. Dabei wird das Abgas aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet. Das derart rückgeführte Abgas wird im nächsten Verbrennungsprozess quasi ein zweites Mal verbrannt und es bilden sich dadurch im Ergebnis weniger Stickoxide. Es handelt sich dabei um eine innermotorische Maßnahme, die der Kontrolle der Verbrennung dient. Im Realbetrieb auf der Straße wird aufgrund dieser „Umschaltlogik“ der Modus 1 nicht aktiviert, sondern das Fahrzeug wird im Modus 0 betrieben.

[4] Am 4. Jänner 2017 wurde durch die Werkstatt der Beklagten am Fahrzeug des Klägers ein Software-Update aufgespielt.

[5] Der Kläger hat mit dem Fahrzeug bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz 89.132 km zurückgelegt.

[6] Der Kläger begehrt, insbesondere gestützt auf Gewährleistung, Irrtum und Arglist, die Rückabwicklung des Kaufvertrags (einschließlich des Vertrags über die Winterräder); dazu stellte er zwei Eventualbegehren. Überdies erhob er ein Feststellungsbegehren. In jedem Fall führe die Vertragsaufhebung zu einer Zug-um-Zug-Rückabwicklung. Ein Benützungsentgelt müsse er sich nicht anrechnen lassen.

[7] Die Beklagte wendete insbesondere ein, sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor des Typs EA 189 seien weiterhin technisch sicher und fahrbereit und könnten uneingeschränkt im Straßenverkehr benützt werden. Es liege daher kein Mangel vor. Für den Fall der Rückabwicklung des Kaufvertrags stehe ihr unter Berücksichtigung des Kaufpreises von 33.400 EUR und des Händlereinkaufswerts bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz von 7.484 EUR ein Benützungsentgelt von 25.916 EUR zu, das aufrechnungsweise gegen eine allenfalls zu Recht bestehende Klageforderung eingewendet werde.

[8] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag über das Fahrzeug sowie über die Winterreifen auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger den Betrag von 15.400 EUR und von 898,99 EUR jeweils samt 4 % Zinsen seit 21. Dezember 2010 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und der Winterreifen auf. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 18.000 EUR sA wies es ab, ebenso – vom Kläger unbekämpft – das Feststellungsbegehren. Bei der verwendeten Motorsteuerungssoftware, die den Betrieb auf dem Prüfstand erkenne, handle es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, die den gesetzlichen Vorgaben gerade nicht entspreche. Unabhängig davon bestehe ein Gewährleistungsanspruch des Klägers schon deshalb, weil nicht gesagt werden könne, ob durch die Adaptierung des Fahrzeugs an den gesetzlichen Zustand sonstige nachteilige Veränderungen im Motor bzw der Motorleistung hervorgerufen würden. Ein Mehrverbrauch stehe bereits fest. Eine Klaglosstellung durch Aufspielen des Updates sei nicht erfolgt. Der Anspruch auf Wandlung sei daher berechtigt, weil die Verbesserung nicht in angemessener Frist erfolgt sei und auch nicht mehr erfolgen könne.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der sich dieser gegen die Abweisung des Mehrbegehrens richtete, nicht Folge; hingegen wies es in Stattgebung der Berufung der Beklagten das gesamte Klagebegehren ab. Nach Beweiswiederholung legte das Berufungsgericht seiner Entscheidung in Abänderung der entsprechenden erstgerichtlichen Feststellung zugrunde, dass ein Anstieg des Kraftstoffverbrauchs durch das Software-Update nicht feststellbar sei. Das Vorbringen des Klägers in seiner Berufungsbeantwortung, wonach die Motorsteuerung auch nach dem Software-Update ein Thermofenster beinhalte, das als unzulässige Abschaltvorrichtung zu qualifizieren sei, verstoße gegen das Neuerungsverbot. Es liege daher weder ein Mangel vor noch einer der sonstigen vom Kläger geltend gemachten Aufhebungsgründe.

[10] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den gewährleistungsrechtlichen Folgen des sogenannten Abgasskandals fehle.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision des Klägers ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

A. Zur EG-Typengenehmigung

[12] A.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen (vgl nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).A.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen vergleiche nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).

[13] Gemäß Art 3 Z 3 RL 2007/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Typengenehmigung“ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT