Entscheidungs 6Ob198/15h. OGH, 30-08-2016

ECLIECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00198.15H.0830.000
Judgement Number6Ob198/15h
Date30 Agosto 2016
Record NumberJJT_20160830_OGH0002_0060OB00198_15H0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, als Treuhänderin im Sanierungsverfahren über das Vermögen der A***** GmbH & Co KG (AZ ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz), vertreten durch Dr. Norbert Scherbaum, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Dipl.-Ing. K***** G***** Z*****, vertreten durch hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, 2. Dipl.-Ing. Dr. G***** G*****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. Dkfm. Dr. M***** K*****, vertreten durch Mag. Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, 4. Dipl.-Ing. C***** S*****, vertreten durch Dr. Michael Herzer, Rechtsanwalt in Wien, und deren Nebenintervenientin B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Engelhart & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 10 Mio EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Juli 2015, GZ 4 R 62/15t-82, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 3. Dezember 2014, GZ 10 Cg 116/13i-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Wesentlichen unstrittig ist folgender Sachverhalt:

Die A***** AG & Co KG (FN *****; ab 20. 12. 2008 A***** GmbH & Co KG [kurz: Kommanditgesellschaft]) war nach diversen Umgründungsvorgängen in den Jahren 2007/2008 100%ige „Muttergesellschaft“ der A***** G***** GmbH (FN ***** [kurz: G***** GmbH]), die ihrerseits zahlreiche Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften hielt. Einzige Kommanditistin der Kommanditgesellschaft mit einer Hafteinlage von 10 Mio EUR war die A-***** AG (FN ***** [kurz: Konzernmutter]). Einzige Komplementärin (und damit Geschäftsführerin) der Kommanditgesellschaft war die A***** AG (FN *****; ab 13. 12. 2008 A***** GmbH [kurz: Komplementärgesellschaft]), die eine reine Arbeitsgesellschafterin ohne Kapitalanteil war. Alleingesellschafterin der Komplementärgesellschaft war die Konzernmutter.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen waren ab 13. 12. 2008 (Eintragung im Firmenbuch) Erst- und Zweitbeklagter Geschäftsführer der Komplementär-gesellschaft, Dritt- und Viertbeklagter Aufsichtsrats-vorsitzender beziehungsweise dessen Stellvertreter. Dem Firmenbuch ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass mit Hauptversammlungsbeschluss vom 1. 12. 2008 die Komplementärgesellschaft von einer Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gemäß §§ 239 ff AktG umgewandelt worden war. Bis zum 13. 12. 2008 waren somit Erst- und Zweitbeklagter Vorstandsmitglieder der Komplementärgesellschaft.

Vor dem 1. 12. 2008 war die Kommanditgesellschaft nach diversen Umgründungs-vorgängen in den Jahren 2007 und 2008 noch Alleingesellschafterin der G***** GmbH gewesen, die ihrerseits zahlreiche Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften gehalten hatte. Mit Einbringungs- und Sacheinlagevertrag vom 1. 12. 2008 übertrug die Kommanditgesellschaft ihren gesamten Geschäftsanteil an der G***** GmbH (samt sämtlicher ausländischer Tochtergesellschaften) zum 30. 11. 2008 ohne Gegenleistung auf die Konzernmutter, die ihrerseits Gesellschafterin der Komplementärgesellschaft war. Diesen Vertrag unterzeichneten unter anderem der Erst- und der Zweitbeklagte als Vorstandsmitglieder der Komplementärgesellschaft; der Dritt- und der Viertbeklagte stimmten als deren Aufsichtsratsmitglieder für die Übertragung, wobei der Drittbeklagte nach den Behauptungen der Klägerin den Vertrag außerdem als selbstständig vertretungsbefugter Vorstandsvorsitzender der Konzernmutter unterfertigte.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 26. 11. 2010 (AZ *****) wurde über das Vermögen der Kommanditgesellschaft ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet und die Klägerin zum Sanierungsverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 6. 12. 2010 wurde der Kommanditgesellschaft die Eigenverwaltung im Sanierungsverfahren entzogen und die Klägerin zum Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 26. 7. 2011 wurde der Sanierungsplan bestätigt, aufgrund dessen die Kommanditgesellschaft der Klägerin als Treuhänderin gemäß § 157g IO ein im Sanierungsplan näher bezeichnetes Vermögen zur Verwaltung und Verwertung übergab. Als Bestandteile dieses Vermögens wurden unter anderem „Schadenersatz-(Haftungs-)Ansprüche gegenüber den Organen der Schuldnerin (= Kommanditgesellschaft), wie insbesondere gegenüber ehemaligen Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführern und Aufsichtsratsmitgliedern“ sowie „Ansprüche aus Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, insbesondere das Verbot der Einlagenrückgewähr aus den vor Insolvenzeröffnung durchgeführten Umgründungsvorgängen gegen die beteiligten Gesellschaften und deren Organe“ bezeichnet.

Die Klägerin wirft den Beklagten einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften der § 52 AktG, §§ 82 f GmbHG im Zusammenhang mit dem Abschluss des Einbringungs- und Sacheinlagevertrags aus dem Jahr 2008 vor, wodurch die Kommanditgesellschaft geschädigt worden sei. Sie begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von 10 Mio EUR zur ungeteilten Hand.

Die Beklagten bestreiten vor allem die Aktivlegitimation der Klägerin, ihre eigene Passivlegitimation, die Anwendbarkeit der Kapitalerhaltungs-vorschriften auf die Kommanditgesellschaft und eigenes Verschulden, erheben aber auch noch umfangreiche weitere Einwendungen, insbesondere auch den Verjährungseinwand.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Sie vertraten die Auffassung, dass es für einen auf die analoge Anwendung von § 25 GmbHG, §§ 84, 99 AktG gestützten direkten Schadenersatzanspruch der Kommanditgesellschaft gegen sorgfaltswidrig handelnde Organe der Komplementär-gesellschaft des Hinzutretens besonderer Umstände bedürfe, nämlich der Personenidentität von Kommanditisten, GmbH-Gesellschaftern sowie Geschäftsführern und der Tätigkeit der Komplementärgesellschaft ausschließlich zur Wahrung der Geschäftsführungsaufgaben für die Kommanditgesellschaft. Da eine solche Personenidentität nicht vorgelegen sei, komme ein Durchgriff der Kommanditgesellschaft auf die Vertretungsorgane der Komplementärgesellschaft von vornherein nicht in Betracht; die strittige Frage der ausschließlichen Tätigkeit der Komplementärgesellschaft könne deshalb unbeantwortet bleiben.

Das Erstgericht bejahte die Aktivlegitimation der Klägerin, erachtete jedoch die geltend gemachten Ansprüche als verjährt, weil eine analoge Anwendung der Verjährungsfristen der § 25 Abs 6 GmbHG, § 84 Abs 6 AktG auf Ansprüche einer Personengesellschaft nicht in Betracht komme. Im Übrigen könnten trotz der Entscheidung 2 Ob 225/07p die Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH- und des Aktienrechts nicht pauschal und undifferenziert auf eine GmbH & Co KG übertragen werden; diese Vorschriften stünden Entnahmen aus der Kommanditgesellschaft nur dann entgegen, wenn damit gleichzeitig in unzulässiger Weise in das Stammkapital der Komplementärgesellschaft eingegriffen wird. Da dies auch der herrschenden Auffassung in Deutschland entspreche, die Rechtslage in Österreich insoweit jedoch unbestimmt sei, hätten die Beklagten jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt; ihre Rechtsauffassung sei bei Abschluss des Sach- und Einlagevertrags im Jahr 2008 zumindest vertretbar gewesen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, zum einen sei das Erfordernis der Personenidentität für eine Direkthaftung der Organe der Komplementärgesellschaft gegenüber der Kommanditgesellschaft in der Literatur auf Kritik gestoßen, zum anderen könnte auch vertreten werden, dass bei fehlender Personenidentität das (hier noch nicht feststehende) Fehlen sonstiger Tätigkeiten der Komplementärgesellschaft für eine Direkthaftung genügt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

1.1. Der erkennende Senat hat erst jüngst in dem ebenfalls von der Klägerin gegen einen (anderen) Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft aus dem Titel des Schadenersatzes geführten Verfahren 6 Ob 171/15p mit ausführlicher Begründung und unter Hinweis auf Rechtsprechung und Literatur klargestellt:

Abgesehen davon, dass sich auch [bereits] die Entscheidung 1 Ob 192/08d durchaus dahin verstehen lässt, dass als besondere Umstände, die zu einer unmittelbaren Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH gegenüber der Kommanditgesellschaft analog §...

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