Entscheidungs 6Ob221/16t. OGH, 23-06-2017

ECLIECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00221.16T.0623.000
Judgement Number6Ob221/16t
Date23 Junio 2017
Record NumberJJT_20170623_OGH0002_0060OB00221_16T0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien, 2. L***** Investmentgesellschaft mbH, *****, Deutschland, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenienten 1. Ö*****, 2. Dr. W*****, 3. R*****, 4. P*****, 5. A*****, alle vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner und andere Rechtsanwälte in Wien, 6. T*****, Honduras, vertreten durch Berger Ettel Rechtsanwälte in Wien, 7. I*****, vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, 8. Mag. J*****, Schweiz, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (Streitwert insgesamt 105.000 EUR), über die Revisionen der klagenden Parteien, der beklagten Partei und der Erst- bis Fünft- sowie der Siebentnebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Juli 2016, GZ 2 R 112/16b-31, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 11. April 2016, GZ 6 Cg 124/15i, 26 Cg 160/15f-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

II. Den Revisionen der Klägerinnen und der Erst- bis Fünft- sowie der Siebentnebenintervenienten wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in seinen Punkten II.1.B.) und II.2.) wiederhergestellt wird.

III. Die Beklagte ist schuldig, den Klägerinnen und deren Nebenintervenienten nachstehend bestimmte Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar

1. der Erstklägerin 8.927,66 EUR (darin 1.260,94 EUR Umsatzsteuer und 1.362 EUR Barauslagen),

2. der Zweitklägerin 6.613,32 EUR (darin 875,22 EUR Umsatzsteuer und 1.362 EUR Barauslagen),

3. den Erst- bis Fünftnebenintervenienten 9.674,30 EUR (darin 1.612,38 EUR Umsatzsteuer) und

4. dem Siebentnebenintervenienten 8.927,66 EUR (darin 7.481,54 EUR Umsatzsteuer).

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Aktiengesellschaft hat ein Grundkapital von 17.833.500 EUR, eingeteilt in eben diese Anzahl an auf Inhaber lautende Stückaktien ohne Nennbetrag, daher mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital von 1 EUR/Aktie. Die Aktien notieren im Amtlichen Handel der Wiener Börse im Segment „Standard Market Auction“ zu ISIN *****. Die beklagte Partei selbst hält 1.073.418 Stück eigene Aktien (rund 6 % des Grundkapitals). Etwa 60 % des Grundkapitals hält die F***** GmbH (kurz: F*****), weitere (gerundet) 18 % die W***** Privatstiftung (kurz: Stiftung) und (gerundet) 1 % A***** W*****, geboren am 11. 12. 1959. G***** E***** verfügt über Aktien der Beklagten von rund 0,1 % des Grundkapitals. Vorstandsmitglieder der Beklagten sind A***** W***** und G***** S*****.

Rund 14 % der Aktien befinden sich im Streubesitz, wobei die Klägerinnen und die Nebenintervenienten Minderheitsaktionäre der Beklagten sind. Konkret verfügte die Erstklägerin im August 2015 über 103.949 Aktien, die Zweitklägerin über 250.000 Aktien und der Siebentnebenintervenient über 10 Aktien.

A***** W***** (in der Folge kurz: Stifter) ist außerdem Stifter der Stiftung, deren Vorstände G***** E*****, Dr. W***** H***** und Dipl.-Vw. E***** R***** sind. Die F***** wiederum ist eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile zur Gänze Dr. W***** H***** treuhändig für die Stiftung hält. Dieser ist außerdem neben Mag. A***** W*****, dem Neffen des Stifters, selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der F*****.

Gegenstand der Beklagten sind Entwicklung, Produktion sowie Vertrieb und Service von Produkten, Verfahren und Anlagen für die Wasseraufbereitung. Außerdem ist die Beklagte satzungsgemäß berechtigt, sich an Unternehmen mit gleichem oder ähnlichem Gesellschaftszweck zu beteiligen, die Geschäftsführung zu übernehmen wie auch Zweigniederlassungen zu errichten.

Im September 2014 führte die A***** GmbH (kurz: A*****), eine in der Zwischenzeit mit ihrer 100%igen Tochtergesellschaft F***** verschmolzene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ein freiwilliges Übernahmeangebot gemäß §§ 4 ff ÜbG durch, das auf den Erwerb sämtlicher im Streubesitz befindlicher Aktien der Beklagten gerichtet war. In diesem Übernahmeangebot findet sich unter anderem folgende Passage:

„Die W*****-Gruppe beabsichtigt mit dem geplanten Angebot eine Aufstockung ihres Anteils an der Zielgesellschaft auf 90 % oder mehr des Grundkapitals der Zielgesellschaft (und zwar unter Berücksichtigung der eigenen Aktien der Zielgesellschaft im Sinne des GesAusG). Sollte die W*****-Gruppe ein solches Beteiligungsausmaß erlangen, so bestünde nach österreichischem Recht die Möglichkeit, durch einen Squeeze-Out nach den Bestimmungen des Gesellschafterausschlussgesetzes einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen angemessene Barabfindung zu verlangen. Die W*****-Gruppe ist nach heutigem Stand durchaus interessiert und bereit, einen solchen Squeeze-Out zu verlangen und auch in weiterer Folge eine Beendigung der Börsezulassung (Delisting) anzustreben. […]

Daher wird die W*****-Gruppe für den Fall des Nichterreichens der 90%-Schwelle auch andere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen erwägen, für die bereits geringere Mehrheiten in der Hauptversammlung der Zielgesellschaft ausreichen, wie beispielsweise eine Verschmelzung der Zielgesellschaft auf eine nicht börsenotierte Kapitalgesellschaft. Die Bieterin weist ausdrücklich auf das Risiko der Beendigung des Börsehandels in Aktien der Zielgesellschaft hin. Eine solche Beendigung des Börsehandels würde zu einer voraussichtlich stark eingeschränkten Liquidität der Aktien führen und eine marktmäßige Preisbildung einschränken.

Als Angebotspreis wurden mit diesem Übernahmeangebot 17 EUR/Aktie angeboten, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die Aktie am letzten Tag vor Bekanntgabe der Angebotsabsicht, dem 26. 8. 2014, an der Wiener Börse bei einem Kurs von 16 EUR/Aktie geschlossen hatte, der Angebotspreis somit um 6,25 % über dem Schlusskurs der Aktie am Börsetag vor Bekanntgabe der Angebotsabsicht liege.

Die E***** Wirtschaftsprüfungs GmbH gab am 16. 9. 2014 „als Sachverständige der Zielgesellschaft gemäß §§ 13 f ÜbG“ folgende „abschließende Beurteilung zum freiwilligen öffentlichen Anbot gemäß §§ 4 ff ÜbG der A***** vom 15. 9. 2014 und zu den Äußerungen des Vorstands der Zielgesellschaft zum 16. 9. 2014 und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft vom 16. 9. 2014“ ab:

„Das freiwillige öffentliche Anbot wurde ordnungsgemäß gelegt und erhält die in § 3 Z 2 ÜbG für die Anbotsempfänger geforderten Informationen.

• Der angebotene Kaufpreis von EUR 17,00 je Aktie der [Beklagten] liegt über dem EUR 15,79 betragenden, nach dem Handelsvolumen gewichteten Durchschnittskurs der letzten sechs Monate vor Bekanntgabe der Anbotsabsicht je Aktie [der Beklagten].

• Der angebotene Kaufpreis liegt über den von der Bieterin oder mit ihr gemeinsam vorgehenden Rechtsträgern in den letzten 12 Monaten vor Anzeige des Anbots erworbenen Aktien, die zu einem Höchstbetrag von EUR 15,636 je Aktie erworben wurden.

• Der angebotene Kaufpreis liegt über dem EUR 16,60 betragenden Höchstkurs der vergangenen 12 Monate der Aktie [der Beklagten].

• Der angebotene Kaufpreis liegt über dem EUR 16,00 betragenden Schlusskurs am Tag vor Bekanntgabe der Anbotsabsicht der Aktie [der Beklagten].

• Kurzfristig ist infolge der Ankündigung der Absicht der Bieterin auf Abgabe eines Anbots der Börsenkurs sogar über den Angebotspreis gestiegen, was indiziert, dass einzelne Marktteilnehmer den Wert der Aktie höher einschätzen, als der Anbotspreis ist. In den vergangenen 24 Kalendermonaten vor Anbotslegung lag der Kurs der Aktie nur an zwei Handelstagen, am 11. und 12. 2. 2013, über dem Angebotspreis von EUR 17,00.

Der Vorstand und der Aufsichtsrat der [Beklagten] nehmen davon Abstand, eine abschließende Empfehlung zu erteilen, und stellen die wesentlichen Argumente für eine Annahme oder eine Ablehnung des Anbots dar.

Die vom Vorstand und vom Aufsichtsrat der [Beklagten] vorgelegten Äußerungen zum freiwilligen öffentlichen Anbot sind schlüssig und ermöglichen eine Beurteilung des Anbots. Weiters haben wir die vom Vorstand der [Beklagten] vorgelegte Äußerung analysiert und haben dabei keine Tatsachen festgestellt, die Zweifel an der Richtigkeit begründen.

Insgesamt ermöglichen sämtliche dargelegten Argumente und Informationen eine Beurteilung des freiwilligen öffentlichen Anbots.“

In der Äußerung des Vorstands der Beklagten zum öffentlichen Anbot finden sich unter anderem folgende Passagen:

„BEURTEILUNG DER AUSWIRKUNGEN DES ANGEBOTS AUF DIE GESELLSCHAFT, DIE DIENSTNEHMER UND DIE GLÄUBIGER SOWIE DAS ÖFFENTLICHE INTERESSE

Geschäftspolitische Ziele und Absichten

Ziele und Strategie der Gesellschaft sind im Angebot richtig wiedergegeben. Eine Änderung dieser Strategie ist nicht beabsichtigt. Die Bieterin beabsichtigt, diese Strategie weiterhin zu unterstützen.

Ziel der Bieterin und der mit ihr gemeinsam vorgehenden Rechtsträger ist offenbar eine Aufstockung ihrer Beteiligung auf 90 % oder mehr des Grundkapitals der Gesellschaft […]. Sollten die Bieterin und die mit ihr gemeinsam vorgehenden Rechtsträger ein solches Beteiligungsausmaß erlangen, so bestünde nach österreichischem Recht die Möglichkeit, durch einen Squeeze-Out nach den Bestimmungen des Gesellschafterausschlussgesetzes einen Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen angemessene Barabfindung zu verlangen. Die Bieterin und die mit ihr gemeinsam vorgehenden Rechtsträger sind entsprechend ihren Ankündigungen im Angebot interessiert und bereit, einen solchen Squeeze-Out zu verlangen und auch eine...

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