Entscheidungs 7Ob146/15v. OGH, 06-04-2016

ECLIECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00146.15V.0406.000
Judgement Number7Ob146/15v
Date06 Abril 2016
Record NumberJJT_20160406_OGH0002_0070OB00146_15V0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Schaffer Sternad Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 895.101,62 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2015, GZ 1 R 189/14t-102, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juli 2014, GZ 19 Cg 113/10d-96, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird einschließlich der bereits rechtskräftigen Teile dahingehend abgeändert, dass sie insgesamt als Teilurteil wie folgt lautet:

„1. Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen den Betrag von 334.156,68 EUR samt 10,2 % Zinsen seit 25. 6. 2010 zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen weitere 90.702,28 EUR samt 10,2 % Zinsen seit 25. 6. 2010 sowie weitere 10,2 % Staffelzinsen für die Zeit bis 24. 6. 2010 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

4. Im Übrigen, nämlich im Umfang des Zuspruchs von 470.242,66 EUR samt 10,2 % Zinsen seit 25. 6. 2010 wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

5. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.“

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Stahlkonzern A*****M***** (AM) mit Produktionstöchtern in Polen und Spanien erhielt im Dezember 2008 einen Großauftrag der Deutschen Bahn (DB) für die Lieferung von Schienen. Es waren ab Jänner 2009 per Eisenbahn 30 m-Schienenstücke an deutsche und österreichische Schweißwerke zu transportieren, wo die Schienenstücke (im Auftrag von AM) zu den erforderlichen Längen (bis zu 120 m) zusammengeschweißt werden sollten. Ausgangspunkte der Bahntransporte zu den Schweißwerken waren ein Werk von AM in D***** G***** (Polen) und der Seehafen W*****, wohin die im Werk von AM in Spanien produzierten Schienenstücke am Seeweg geliefert worden waren.

AM betraute mit der gesamten Logistik die Beklagte. Diese „sollte sämtliche (mit dem Großauftrag der DB an AM) verbundenen Leistungen und auch alle Risken solcher Transporte, insbesondere Verspätungen und Stehzeiten, übernehmen, sodass sich AM um nichts mehr kümmern und keine Zusatzkosten befürchten brauchte. Weiters sollte sie die Transportkosten vorfinanzieren.“

Die Beklagte beauftragte ihrerseits die Klägerin, alle für AM im Jahr 2009 zu den Schweißwerken vorzunehmenden Bahntransporte durchzuführen. Dem Auftrag lag ein Angebot der Klägerin zugrunde, auf dessen Basis die einzelnen Transportleistungen abzurufen waren. Die Beklagte erbrachte zur Logistik des Bahntransports keine Leistungen. Unterfertigte Frachtbriefe für die von der Klägerin durchzuführenden Transporte liegen nicht vor.

Im Angebot der Klägerin war für den Schienentransport vom polnischen Werk zu den Schweißwerken ein - von der jeweiligen Destination abhängiger - Preis pro Tonne für einen „Umlauf“ (Vollzug vom Herstellerwerk zum Schweißwerk und Leerzug vom Schweißwerk zum Herstellerwerk) vereinbart. Die Beladung und Ladungssicherung hatte durch AM zu erfolgen. Hinsichtlich des Schweißwerks S***** war festgehalten „inklusive Überstellung in das Werk“ (= Beistellverschub), hinsichtlich der anderen Destinationen, dass „bei Bedarf Überstellung in das Werk (mit E-Tfz) erfolgen kann“. „Zielpunkt“ des Transports war nicht des Schweißwerk selbst, sondern der davor liegende öffentliche Bahnhof.

Der Transport vom öffentlichen Bahnanschluss auf Betriebsgleisen zur innerbetrieblichen Entladestelle wird als „Beistellverschub“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um Arbeiten, die nur durch qualifizierte Lokführer und Wagenmeister durchgeführt werden können. Die Betriebsgleise sind zumeist nicht elektrifiziert, sodass in der Regel nur Dieselloks für den Beistellverschub einsetzbar sind.

Für die „Entladedauer“, worunter die Parteien laut dem im April geschlossenen, auf 14. 1. 2009 rückdatierten Vertrag den Zeitraum zwischen Ankunft des Vollzugs und Übernahme des Leerzugs am öffentlichen Bahnhof verstanden, hatten die Streitteile je nach Destination 24 oder 48 Stunden angesetzt. Für den Fall der Überschreitung dieser Frist war vereinbart, die Stehzeiten der Wagen zu bahnüblichen Sätzen zu verrechnen.

Über die Entladesituation in den Werken hatte die Klägerin keine Information von der Beklagten erhalten. Die Beklagte hatte kein Konzept erstellt und keine Daten eingeholt, obwohl die Klärung der „letzten Meile“ ein logistisch wesentlicher Punkt ist. Diese Kosten können nur abgeschätzt werden, wenn die örtliche Situation bekannt ist und Ablaufpläne erstellt wurden. Der Klägerin war nicht bekannt, über welche Einrichtungen bzw Verträge mit anderen Eisenbahnunternehmen die Schweißwerke verfügten, sodass die Kosten für einen Beistellverschub für sie nicht kalkulierbar waren. Ob die Klägerin einen „Beistellverschub“ zu übernehmen haben werde, war bei Auftragserteilung offen.

Die Klägerin suchte nach Auftragserteilung die Schweißwerke auf und ermittelte die - jeweils unterschiedliche - „Entladesituation“ („letzte Meile“). Es zeigte sich, dass die Durchführung des Beistellverschubs in der Regel mangels Elektrifizierung der Gleisanlagen eine Diesellok voraussetzte und der Beistellverschub zum Teil auch einer Betriebsbahn, zum Teil einem bestimmten Eisenbahnunternehmen vorbehalten war, sodass der Beistellverschub praktisch nicht von der - nur E-Loks einsetzenden - Klägerin durchgeführt werden konnte.

Obwohl die Parteien im Vertrag von April 2009 vereinbarten, dass der Beistellverschub „nicht Leistungsbestandteil des AN (= Klägerin)“ ist, musste die Klägerin aufgrund der Untätigkeit der Beklagten erkennen, dass sie für den Beistellverschub Sorge tragen müsse, damit die Schienen an die Schweißwerke geliefert werden und die (Zug-)„Umläufe“ erfolgen konnten. Die Klägerin organisierte den Beistellverschub, indem sie - je nach Schweißwerk unterschiedliche - Aufträge erteilte; faktisch führte die jeweilige Betriebsbahn bzw jenes Eisenbahnunternehmen, das vor Ort den Beistellverschub durchführen durfte, den Beistellverschub („letzte Meile“) durch. Vergleichsanbote holte die Klägerin nicht ein, ebenso wenig verhandelte sie die Preise. Sie hielt mit der Beklagten keine Rücksprache, weil die Frage des Beistellverschubs organisatorisch wie auch kostenmäßig hinter den anderen Logistikfragen, die ihr die Beklagte übergeben hatte, zurücktrat. Als die Klägerin später den Beistellverschub gegenüber der Beklagten thematisierte, lehnte diese den begehrten Kostenersatz als viel zu hoch ab, stellte jedoch ein „Gentlemen's-Agreement“ in Aussicht, weswegen die Klägerin ihre Leistungen fortsetzte, sich weiterhin um den Beistellverschub kümmerte und diesen finanzierte, was die Beklagte wusste. Die Klägerin wollte wegen der Kosten des Beistellverschubs auch den umfangreichen Gesamtauftrag nicht in Gefahr bringen. Das Gentlemen's-Agreement kam letztlich nicht zustande.

In der Vereinbarung zwischen AM und den Schweißwerken war vorgesehen, dass die „Schienen frachtfrei den Werken“ zu liefern seien; die Schweißwerke waren nur für den „innerbetrieblichen“ Transport zuständig.

Von Anfang an kam es zur Überschreitung der vertraglich vorgesehenen Standzeiten („Entladedauer“). Grund hiefür war, dass die Schweißwerke von der großen Menge an zugelieferten Schienen überfordert waren. Zwischen den Streitteilen wurde die Situation immer wieder besprochen und die Klägerin ersuchte, man möge auf die Schweißwerke einwirken, damit die Entladezeit nicht überschritten werde. An der verzögerten Entladung in den Schweißwerken änderte sich aber grundsätzlich nichts. AM und die Beklagte wurden um Anweisungen ersucht. Über diese schriftlichen Benachrichtigungen hinaus verständigte die Klägerin die Beklagte und AM mündlich zumindest in den Fällen, in denen die Abholung in Polen nicht plangerecht erfolgen konnte, weil...

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