Entscheidungs 7Ob25/21h. OGH, 26-01-2022

ECLIECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00025.21H.0126.000
Date26 Enero 2022
Judgement Number7Ob25/21h
Record NumberJJT_20220126_OGH0002_0070OB00025_21H0000_000
CourtOberster Gerichtshof (Österreich)
Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* S*, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Pfarre *, und 2. Erzdiözese *, beide vertreten durch die Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 323.865,60 EUR sA, Zahlung einer monatlichen Rente und Feststellung, über die Revisionen der klagenden und der zweitbeklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2020, GZ 14 R 115/20i-44, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Jänner 2017, GZ 13 Cg 123/15a-27, teilweise abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I.1. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die Teilurteile der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass im gegenüber der erstbeklagten Partei ansonsten unberührt bleibenden Pkt 2. des Ersturteils das Klagebegehren von 23.856,60 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagsbehändigung zurückgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 1.782,96 EUR (darin 297,16 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

I.2. Die Beantwortung der Revision der klagenden Partei durch die zweitbeklagte Partei wird zurückgewiesen; diese hat die Kosten ihres Rechtsmittelschriftsatzes selbst zu tragen.

II. Der Revision der zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt insofern dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Im Jahr 2010 wurde nach dem Bekanntwerden erster großer Missbrauchsfälle von der katholischen Kirche, konkret von der Bischofskonferenz, der Superiorenkonferenz und der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, die kirchliche Stiftung Opferschutz gegründet. Diese österreichweit eingerichtete Stiftung hat eigene Rechtspersönlichkeit, sie ist organisatorisch von den sonst in der katholischen Kirche bestehenden Rechtspersönlichkeiten, insbesondere auch den Diözesen und den Pfarren unabhängig und auch nicht weisungsgebunden. Hintergrund der Errichtung dieser Stiftung war, dass eine Möglichkeit geschaffen werden sollte, möglichen Opfern von Gewalt, psychischem oder sexuellem Missbrauch durch Repräsentanten der katholischen Kirche auf möglichst unbürokratischem Weg Hilfe und Entschädigungsleistungen zu verschaffen, und zwar unabhängig davon, welcher Rechtsträger innerhalb der katholischen Kirche juristisch gesehen allenfalls verantwortlich gemacht werden könnte, und ob die Ansprüche juristisch überhaupt durchsetzbar wären. Für die Opfer sollte die Möglichkeit einer zentralen Anlaufstelle geschaffen werden, von der sie Hilfeleistungen zuerkannt bekommen konnten, ohne sich mit Fragen der juristischen Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche auseinandersetzen zu müssen.

[2] Parallel zur Stiftung Opferschutz wurde eine Opferschutzkommission (aus den Medien bekannt als „Klasnic-Kommission“) ins Leben gerufen. Diese ist eine von der katholischen Kirche unabhängige Kommission, für die es keine kirchliche Rechtsgrundlage gibt. Die „Klasnic-Kommission“ ist eine Personengruppe, die sich ehrenamtlich zur Verfügung stellt, um ihr übermittelte Anzeigen von Missbrauchsopfern zu bearbeiten und die erhobenen Vorwürfe auf ihre mögliche Richtigkeit zu prüfen. Sie besteht aus Psychiatern und Psychotherapeuten, die mit den Opfern einen sogenannten Clearing-Prozess durchführen, nach dessen Beendigung die „Klasnic-Kommission“ dann eine Empfehlung abgibt, ob und in welchem Ausmaß jeweils Betroffenen einerseits Therapiestunden bezahlt werden sollen und andererseits Geldersatz zuerkannt werden soll. Von der „Klasnic-Kommission“ werden im Normalfall, so erhobene Vorwürfe für wahr gehalten werden, je nach Schwere des Falles Ersatzbeträge in Höhe von 5.000 EUR, 15.000 EUR oder 25.000 EUR zuerkannt. Dass ein Clearing bei der „Klasnic-Kommission“ absolviert wird, ist Voraussetzung dafür, dass Ersatzleistungen zuerkannt werden. Die Entscheidungen der „Klasnic-Kommission“ werden aufgrund der von der Bischofskonferenz, der Superiorenkonferenz und der Vereinigung der Frauenorden Österreichs beschlossenen Rahmenordnung der Stiftung freiwillig akzeptiert, ohne dass die Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe oder die juristische Durchsetzbarkeit der zuerkannten Leistungen überprüft wird.

[3] Die kirchliche Stiftung Opferschutz wurde zu dem Zweck eingerichtet, als Zahlstelle für die von der „Klasnic-Kommission“ zuerkannten Leistungen zu fungieren, dh diese Leistungen an die Betroffenen auszuzahlen. Dabei werden Geldleistungen an die Opfer entweder in bar ausbezahlt oder überwiesen und zuerkannte Therapiestunden nach Vorlage von Rechnungen an die jeweiligen Therapeuten bezahlt. Um die Zahlungen zu ermöglichen, wurden der Stiftung Opferschutz ursprünglich von der Bischofskonferenz, der Superiorenkonferenz und der Vereinigung der Frauenorden Österreichs Geldmittel zur Verfügung gestellt. Von der Stiftung Opferschutz ausbezahlte Gelder werden von dieser dann im Regressweg bei den für den jeweils genannten Täter zuständigen kirchlichen Rechtsträgern eingebracht. Auch diese Regresszahlungen erfolgen in der Regel, ohne dass Verschuldensfragen geprüft werden, was in vielen Fällen, im Hinblick darauf, dass die behaupteten Täter nicht mehr am Leben sind, auch gar nicht möglich wäre. Die Stiftung Opferschutz vertritt keine anderen Rechtspersonen innerhalb der katholischen Kirche und ist dazu auch nicht befugt. Sie ist insbesondere auch nicht befugt, irgendwelche Erklärungen namens anderer Rechtspersonen der katholischen Kirche abzugeben und tut dies auch nicht.

[4] Im Jahr 2010 lief das Ersatzverfahren so ab, dass sich die Opfer an die Ombudsstellen der jeweiligen Diözesen wenden mussten, die den Fall aufnahmen und direkt an die „Klasnic-Kommission“ weiterleiteten. Wenn das Opfer dann den Clearing-Prozess bei der „Klasnic-Kommission“ absolvierte, gab diese eine Empfehlung ab, die sie der Stiftung Opferschutz übermittelte. Von der Stiftung wurde dann das Opfer kontaktiert und die Auszahlung der empfohlenen Beträge veranlasst. Etwa eineinhalb Jahre nach Aufnahme der Tätigkeit der „Klasnic-Kommission“ und der Stiftung Opferschutz wurde das Verfahren insofern etwas geändert, als der Erstkontakt mit dem Opfer und die Erstuntersuchung von der Ombudsstelle der jeweiligen Diözese übernommen wurde. Ansonsten ist das Prozedere aber gleich geblieben.

[5] Der am * 1970 geborene Kläger war von 1977 bis 1988 Opfer sexueller Missbrauchshandlungen, die ein mittlerweile verstorbener Priester, Pater T*, an ihm verübte. Die Missbrauchshandlungen fanden im Pfarrhaus der Erstbeklagten statt; der Pater war lediglich im Zeitraum 1980 bis 1982 Pfarrer der Erstbeklagten, bis 1979 und ab 1983 war er Pfarrer anderer Pfarren in *.

[6] Der Kläger leidet seit geraumer Zeit unter massiven psychischen Beschwerden, insbesondere einer posttraumatischen Belastungsstörung mit soziophobischer und agoraphobischer Symptomatik, Panikattacken, Somatisierungsneigung und Zwangssymptomen sowie Migräne und Stottern. Diese Beschwerden sind (zumindest teilweise) auf die sexuellen Missbrauchshandlungen in seiner Kindheit und Jugend zurückzuführen. Er befand sich wegen seiner psychischen Probleme seit vielen Jahren laufend in psychiatrischer bzw psychotherapeutischer Behandlung, er wusste aber zunächst nicht, dass die sexuellen Missbrauchshandlungen zumindest Mitursache für diese Beschwerden gewesen sein könnten. Vielmehr führte er die Beschwerden auf andere Ursachen wie Arbeitsstress (Burn-Out) zurück.

[7] Ab 9. 11. 2009 war der Kläger in Betreuung bei den psychosozialen Diensten der Stadt * und besuchte das multiprofessionelle sozialpsychologische Ambulatorium *, wo den Patienten Sozialarbeiter, Psychologen und auch Psychiater zur Verfügung stehen, die für die dort betreuten Patienten eine gemeinsame Patientenakte führen. Der Kläger hatte dort Kontakt mit einer Psychiaterin und einer Psychotherapeutin. Im Rahmen der Gespräche ergab sich der Verdacht, dass sexuelle Missbrauchshandlungen vorliegen könnten. Der Kläger wurde schließlich sowohl von Psychiaterin und Psychotherapeutin ermutigt, die Ursache für seine psychischen Probleme in der Kindheit zu suchen.

[8] Nachdem der Kläger auch erwähnt hatte, „dass es hier einen seltsamen Pfarrer gegeben habe“, gelang es der Psychotherapeutin schließlich, den Kläger so weit auf die möglichen Ursachen seiner Probleme hinzuweisen und zu ermutigen, dass er begann, den möglichen Kausalzusammenhang zwischen den Missbrauchshandlungen und seinen psychischen Problemen zu erkennen, und er sich schließlich an die Ombudsstelle der zweitbeklagten Erzdiözese für Opfer sexuellen Missbrauchs der Kirchen wandte.

[9] Dort führte der Kläger am 9. 4. 2010 ein einstündiges Erstgespräch mit M*, die ausgebildete Psychotherapeutin und Fachmitglied der Ombudsstelle der Zweitbeklagten für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche ist. Die wesentlichen Inhalte dieses Gesprächs wurden von ihr in einem Protokoll festgehalten und am 28. 4. 2010 durch Einfügung der Ergebnisse zwischenzeitig durchgeführter eigener Recherchen ergänzt.

[10] Spätestens zum Zeitpunkt dieses Erstgesprächs am 9. 4. 2010 war dem Kläger jedenfalls bekannt, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den an ihm von Pater T* begangenen Missbrauchshandlungen und seinen psychischen Problemen bestand. Der Kläger wollte, da ihm nicht bekannt war, dass Pater T* bereits verstorben war, zum einen, dass dieser aus dem Verkehr gezogen werden sollte, und zum anderen Ersatz für die ihm zugefügten Schäden.

[11] Über Wunsch des Klägers verfasste M* eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft * gegen einen anderen Pater als Mitwisser, von dem der Kläger angab, dass er sich ihm wegen des Missbrauchs anvertraut, von ihm...

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