Entscheidungstexte nº E706/2020 ua. VfGH. 23-06-2020

ECLIECLI:AT:VFGH:2020:E706.2020
Date23 Junio 2020
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
Verfassungsgerichtshof
Freyung 8, A-1010 Wien
www.verfassungsgerichtshof.at
E 706-707/2020-11
23. Juni 2020
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Verfassungsgerichtshof hat unter dem Vorsitz des Präsidenten
DDr. Christoph GRABENWARTER,
in Anwesenheit der Vizepräsidentin
Dr. Verena MADNER
und der Mitglieder
Dr. Markus ACHATZ,
Dr. Wolfgang BRANDSTETTER,
Dr. Sieglinde GAHLEITNER,
Dr. Andreas HAUER,
Dr. Christoph HERBST,
Dr. Michael HOLOUBEK,
Dr. Helmut HÖRTENHUBER,
Dr. Claudia KAHR,
Dr. Georg LIENBACHER,
Dr. Michael RAMI,
Dr. Johannes SCHNIZER und
Dr. Ingrid SIESS-SCHERZ
als Stimmführer, im Beisein des verfassungsrechtlichen Mitarbeiters
Mag. Martin TRAUSSNIGG
als Schriftführer,
E 706-
707/2020-11
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in der Beschwerdesache der *****************, ******************,
******* ******, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG,
Schubertring 6, 1010 Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungs-
gerichtes vom 22. Jänner 2020, Z W120 2223146-2/37E, sowie gegen den
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Februar 2020,
Z W120 2223146-3/5E, in seiner heutigen nichtöffentlichen Sitzung gemäß
Art. 144 B-VG zu Recht erkannt:
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch die angefochtenen Entscheidun-
gen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor
dem Gesetz (Art. 7 Abs. 1 B-VG) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzli-
chen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) verletzt worden.
Die Entscheidungen werden aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführen-
den Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.096, bestimmten
Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft
(ASFINAG, im Folgenden: erstbeteiligte Partei) hat im März 2019 ein offenes
Vergabeverfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung im Oberschwellen-
bereich "Liefern und Versetzen von Fahrzeugrückhaltesystemen aus Stahl nach
Losen österreichweit" bekannt gemacht. In diesem Vergabeverfahren legten
unter anderem die beschwerdeführende Partei (mit Sitz in Deutschland) und die
zweitbeteiligte Partei, eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich, Angebote.
2. Am 26. August 2019 übermittelte die erstbeteiligte Partei der beschwerdefüh-
renden Partei Ausscheidensentscheidungen betreffend ihre Angebote für näher
bezeichnete Lose und die Mitteilung, dass sie beabsichtige, die Rahmenvereinba-
rung über diese Lose mit der zweitbeteiligten Partei abzuschließen. Ihre Aus-
scheidensentscheidungen begründet die erstbeteiligte Partei mit der fehlenden
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(technischen) Eignung (§ 141 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018), damit, dass die Angebote
nicht den Anforderungen der Ausschreibung entsprächen (§ 141 Abs. 1 Z 7
BVergG 2018), und damit, dass eine Aufklärung der beschwerdeführenden Partei
keine nachvollziehbare Begründung enthalten habe (§ 141 Abs. 2 BVergG 2018).
3. In der Folge beantragte die beschwerdeführende Partei beim Bundesverwal-
tungsgericht die Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidungen sowie der
zugunsten der zweitbeteiligten Partei ergangenen Auswahlentscheidung.
4. In der Sache ist vor dem Bundesverwaltungsgericht insbesondere folgende
Frage strittig: Die nicht angefochtene und bestandsfest gewordene Aus-
schreibung sieht unter anderem vor, dass Fahrzeugrückhaltesysteme den euro-
päischen technischen Spezifikationen zu entsprechen und zum Zeitpunkt der
Angebotsöffnung über eine CE-Kennzeichnung zu verfügen haben. Die Ausschei-
densentscheidungen stützen sich maßgeblich darauf, dass die unter Beiziehung
einer externen Prüfstelle durchgeführte Angebotsprüfung ergeben habe, dass
das von der beschwerdeführenden Partei angebotene Fahrzeugrückhaltesystem
diesen Anforderungen nicht entspreche, weil die CE-Kennzeichnung nicht den
zugrunde liegenden Regelungen entspreche. Die beschwerdeführende Partei
erachtet eine solche Prüfung für vergabe- und unionsrechtswidrig.
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass aus der genannten Festle-
gung in der Ausschreibung bei unionsrechtskonformer Auslegung im Hinblick auf
die Rechtsprechung des EuGH (14.6.2007, Rs. C-6/05, Medipac-Kazantzidis,
Rz 55), die auf die hier einschlägige Rechtslage nach der Bauprodukteverordnung
übertragbar sei, folge, "dass die Entsprechung mit den europäischen technischen
Spezifikationen, soweit sie Grundlage für eine CE-Kennzeichnung sind, durch
Nachweis des Bestehens einer solchen Kennzeichnung erfolgen soll." Darüber
hinaus sei aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes "aber auch der Ausschrei-
bungstext unabhängig davon in der Weise zu lesen, dass der Nachweis der
CE-Kennzeichnung ausreichend ist und sich der Auftraggeber keine weitere
inhaltliche Prüfbefugnis der hinter der CE-Kennzeichnung stehenden technischen
Gegebenheiten vorbehalten hat, gleich ob eine solche rechtmäßig wäre im Lichte
der zitierten Judikatur des EuGH."
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