Entscheidungstexte nº G89/2013. VfGH. 11-03-2014

ECLIECLI:AT:VFGH:2014:G89.2013
Date11 Marzo 2014
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
Verfassungsgerichtshof
Freyung 8, A-1010 Wien
www.verfassungsgerichtshof.at
G 89/2013-13
11. März 2014
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Verfassungsgerichtshof hat unter dem Vorsitz des
Präsidenten
Dr. Gerhart HOLZINGER,
in Anwesenheit der Vizepräsidentin
Dr. Brigitte BIERLEIN
und der Mitglieder
Dr. Markus ACHATZ,
Mag. Dr. Eleonore BERCHTOLD-OSTERMANN,
Dr. Sieglinde GAHLEITNER,
DDr. Christoph GRABENWARTER,
Dr. Michael HOLOUBEK,
Dr. Helmut HÖRTENHUBER,
Dr. Claudia KAHR,
Dr. Georg LIENBACHER,
Dr. Rudolf MÜLLER,
Dr. Johannes SCHNIZER und
Dr. Ingrid SIESS-SCHERZ
sowie des Ersatzmitgliedes
Dr. Irmgard GRISS
als Stimmführer, im Beisein des Schriftführers
Mag. Michael KALTEIS,
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in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungs-
mäßigkeit des § 66a NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. 9440, idF
LGBl. 9440-24 in seiner heutigen nichtöffentlichen Sitzung gemäß Art. 140 B-VG
zu Recht erkannt:
I. 1. In § 66a NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl. Nr. 9440, idF LGBl.
Nr. 9440-24, wird die Wortfolge "ST. PÖLTEN € 6.142.424" a ls
verfassungswidrig aufgehoben.
2. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
3. Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen
Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für das Land
Niederösterreich verpflichtet.
II. Im Übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl A 7/2012 eine auf Art. 137 B-VG
gestützte Klage der Landeshauptstadt St. Pölten gegen das Land Niederösterreich
anhängig, mit der zum einen die Feststellung begehrt wird, dass die beklagte
Partei nicht berechtigt ist, von den der klagenden Partei zustehenden Ertrags-
anteilen an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben einen Standortbeitrag iSd
§ 66a NÖ Krankenanstaltengesetz – NÖ KAG (im Folgenden: NÖ KAG) einzube-
halten, um diesen an den NÖ Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS)
weiterzuleiten. Zum anderen begehrt die klagende Partei von der beklagten
Partei die Auszahlung der ihr von der beklagten Partei seit Jänner 2006 vorent-
haltenen, weil statt an sie an den NÖGUS zur Auszahlung gebrachten
Standortbeiträge iSd § 66a NÖ KAG sowie den Ersatz der Kosten.
2. Bei der Behandlung dieser Klage sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob
der Verfassungsmäßigkeit des § 66a NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG),
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LGBl. 9440 idF LGBl. Nr. 9440-24, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat
daher am 3. Oktober 2013 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts
wegen auf ihre Ver fassungsmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des
Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie
folgt dar:
"4.1. Der Verfassungsgerichtshof geht unter Einbeziehung der Ergebnisse der
mündlichen Verhandlung davon aus, dass § 66a NÖ KAG nicht den grundsatz-
gesetzlichen Bestimmungen der §§ 33 und 34 KAKuG widerspricht. Es kann auf
sich beruhen, ob und in welcher Hinsicht § 34 Abs. 2 KAKuG einer Abwälzung des
Aufwandes für Krankenanstalten auf eine Standortgemeinde mit der Hälfte des
Betriebsabganges der Krankenanstalt ( im Verständnis von dessen Definition in
§ 34 Abs. 1 KAKuG) Grenzen setzt, da im Verfahren weder behauptet wurde noch
hervorgekommen ist, dass diese Grenzen überschritten worden wären.
4.2. Die im vorliegenden Verfahren strittige Regelung des § 66a NÖ KAG sieht im
systematischen Zusammenhang mit den zuvor in Punkt II. wiedergegebenen
Bestimmungen über die Finanzierungsbeiträge der niederösterreichischen
Gemeinden zu Betrieb und Erhaltung von Landeskrankenanstalten zusätzlich
Standortbeiträge jener Gemeinden vor, in denen sich eine NÖ Fondskranken-
anstalt befindet. Diese Beiträge werden in den Folgejahren um den gemäß § 70
Abs. 3 NÖ KAG festgelegten Faktor erhöht. Die Überwälzung der aus der Be-
sorgung der Aufgaben des Landes entstandenen, durch Einnahmen nicht
gedeckten Aufwandslast für Betrieb und Erhaltung einer öffentlichen Kranken-
anstalt auf die Standortgemeinde im Sinne des § 2 F-VG unterliegt als Norm
finanzausgleichsrechtlichen Inhalts den verfassungsrechtlichen Grenzen des § 4
F-VG.
4.3. § 4 F-VG stellt nach der mit VfS lg. 9280/1981 beginnenden Rechtsprechung
des Verfassungsgerichtshofes die Konkretisie rung des Gleichheitssatzes für das
Gebiet des Finanzausgleichs dar. Der Gestaltungsspielraum des zuständigen
Gesetzgebers ist im Sinne der zu § 4 F-VG ergangenen Rechtsprechung des Ver-
fassungsgerichtshofes – und abgesehen von sonstigen Anforderungen durch den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 7 Abs. 1 B-VG – einerseits durch das Gebot
einer sachgerechten Kooperation in Form von Beratungen zwischen den be-
troffenen Gebietskörperschaften im Vorfeld der Gesetzgebung (vgl. zu dieser
Rechtsprechung Ruppe, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), § 4 F -VG Rz 6 ff.) und
andererseits durch das Gebot der Beachtung der Leistungsfähigkeit der
gegenbeteiligten Gebietskörperschaft im Sinne des § 4 F-VG begrenzt. Ein den
§ 4 F-VG verletzender Fehler der Gesetzgebung liegt bei Einha ltung dieser
Grundsätze dann vor, wenn einzelne Bestimmungen zueinander in sachlich nicht
rechtfertigbarem Widerspruch stehen, wenn von verfehlten Prämissen ausge-
gangen wurde oder wen n die Interessen eines Partners geradezu willkürlich
ignoriert oder missachtet wurden (VfSlg. 15.681/1999 mwH).
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