EUROPÄISCHE CHARTA DER REGIONAL- ODER MINDERHEITENSPRACHEN

Der Nationalrat hat beschlossen:

1. Der Abschluss des nachstehenden Staatsvertrages: Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen samt Erklärungen wird genehmigt.

2. Dieser Staatsvertrag ist im Sinne des Art. 50 Abs. 2 B-VG durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen.

(Ãœbersetzung)

Präambel Die Mitgliedstaaten des Europarats, die diese Charta unterzeichnen,

in der Erwägung, daß es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen, um insbesondere die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, zu wahren und zu fördern;

in der Erwägung, daß der Schutz der geschichtlich gewachsenen Regional- oder Minderheitensprachen Europas, von denen einige allmählich zu verschwinden drohen, zur Erhaltung und Entwicklung der Traditionen und des kulturellen Reichtums Europas beiträgt;

in der Erwägung, daß das Recht, im privaten Bereich und im öffentlichen Leben eine Regional- oder Minderheitensprache zu gebrauchen, ein unveräußerliches Recht in Übereinstimmung mit den im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte Kundgemacht in BGBl. Nr. 591/1978 enthaltenen Grundsätzen darstellt und dem Geist der Konvention des Europarats zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Kundgemacht in BGBl. Nr. 210/1958 entspricht;

eingedenk der im Rahmen der KSZE geleisteten Arbeit und insbesondere der Schlußakte von Helsinki von 1975 und des Dokuments des Kopenhagener Treffens von 1990;

unter Betonung des Wertes der interkulturellen Beziehungen und der Mehrsprachigkeit sowie in der Erwägung, daß der Schutz und die Förderung der Regional- oder Minderheitensprachen sich nicht nachteilig auf die Amtssprachen und die Notwendigkeit, sie zu erlernen, auswirken sollte;

in dem Bewußtsein, daß der Schutz und die Stärkung der Regional- oder Minderheitensprachen in den verschiedenen Ländern und Regionen Europas einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines Europas darstellen, das auf den Grundsätzen der Demokratie und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der nationalen Souveränität und der territorialen Unversehrtheit beruht;

unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse und der geschichtlich gewachsenen Traditionen in den verschiedenen Regionen der Staaten Europas,

sind wie folgt übereingekommen:

Teil I – Allgemeine Bestimmungen Artikel 1

Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Charta:

  1. bezeichnet der Ausdruck „Regional- oder Minderheitensprachen“ Sprachen, Â

  2. die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und ii) die sich von der (den) Staatssprache(n) unterscheiden;

    er umfaßt weder Dialekte der Staatssprache(n) noch die Sprachen von Zuwanderern;

  3. bezeichnet der Ausdruck „Gebiet, in dem die Regional- oder Minderheitensprache gebraucht wird“, das geographische Gebiet, in dem die betreffende Sprache das Ausdrucksmittel einer Zahl von Menschen ist, welche die Übernahme der in dieser Charta vorgesehenen verschiedenen Schutz- und Förderungsmaßnahmen rechtfertigt;

  4. bezeichnet der Ausdruck „nicht territorial gebundene Sprachen“ von Angehörigen des Staates gebrauchte Sprachen, die sich von der (den) von der übrigen Bevölkerung des Staates gebrauchten Sprache(n) unterscheiden, jedoch keinem bestimmten Gebiet innerhalb des betreffenden Staates zugeordnet werden können, obwohl sie herkömmlicherweise im Hoheitsgebiet dieses Staates gebraucht werden.

    Artikel 2

    Verpflichtungen

    (1) Jede Vertragspartei verpflichtet sich, Teil II auf alle in ihrem Hoheitsgebiet gebrauchten Regional

    - oder Minderheitensprachen anzuwenden, die der Begriffsbestimmung in Artikel 1 entsprechen.

    (2) In bezug auf jede nach Artikel 3 im Zeitpunkt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung bezeichnete Sprache verpflichtet sich jede Vertragspartei, mindestens fünfunddreißig aus Teil III ausgewählte Absätze oder Buchstaben anzuwenden, darunter mindestens je drei aus den Artikeln 8 und 12

    und je einen aus den Artikeln 9, 10, 11 und 13.

    Artikel 3

    Einzelheiten der Durchführung

    (1) Jeder Vertragsstaat bezeichnet in seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde jede Regional- oder Minderheitensprache oder in seinem gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil desselben weniger verbreitete Staatssprache, auf welche die nach Artikel 2 Absatz 2 ausgewählten Bestimmungen angewendet werden.

    (2) Jede Vertragspartei kann jederzeit danach dem Generalsekretär notifizieren, daß sie die Verpflichtungen

    übernimmt, die sich aus anderen Bestimmungen der Charta ergeben, die sie nicht bereits in ihrer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde bezeichnet hat, oder daß sie Absatz 1 auf andere Regional- oder Minderheitensprachen oder in ihrem gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil desselben weniger verbreitete andere Staatssprachen anwenden wird.

    (3) Die nach Absatz 2 eingegangenen Verpflichtungen gelten als untrennbarer Teil der Ratifikation,

    Annahme oder Genehmigung und haben vom Tag ihrer Notifikation an dieselbe Wirkung.

    Artikel 4

    Bestehende Schutzregelungen

    (1) Die Bestimmungen dieser Charta sind nicht als Beschränkung oder Beeinträchtigung von Rechten auszulegen, die durch die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet sind.

    (2) Diese Charta läßt in einer Vertragspartei bereits bestehende oder in einschlägigen zwei- oder mehrseitigen Übereinkünften vorgesehene günstigere Bestimmungen über den Status der Regional- oder Minderheitensprachen oder die Rechtsstellung der Personen, die Minderheiten angehören, unberührt.

    Artikel 5

    Bestehende Verpflichtungen Die Bestimmungen dieser Charta sind nicht so auszulegen, als gewährten sie das Recht, irgendeine Tätigkeit auszuüben oder irgendeine Handlung vorzunehmen, die gegen die Ziele der Charta der Vereinten Nationen oder sonstige völkerrechtliche Verpflichtungen einschließlich des Grundsatzes der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Staaten verstößt.

    Artikel 6

    Information Die Vertragsparteien verpflichten sich, dafür zu sorgen, daß die betroffenen Behörden, Organisationen und Personen über die in dieser Charta festgelegten Rechte und Pflichten informiert werden.

    Teil II – Ziele und Grundsätze in Übereinstimmung mit Artikel 2 Absatz 1

    Artikel 7

    Ziele und Grundsätze

    (1) Hinsichtlich der Regional- oder Minderheitensprachen legen die Vertragsparteien in den Gebieten, in denen solche Sprachen gebraucht werden, unter Berücksichtigung der Situation jeder Sprache ihrer Politik, Gesetzgebung und Praxis folgende Ziele und Grundsätze zugrunde:

  5. die Anerkennung der Regional- oder Minderheitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums;

  6. die Achtung des geographischen Gebiets jeder Regional- oder Minderheitensprache, um sicherzustellen, daß bestehende oder neue Verwaltungsgliederungen die Förderung der betreffenden Regional- oder Minderheitensprache nicht behindern;

  7. die Notwendigkeit entschlossenen Vorgehens zur Förderung von Regional- oder Minderheitensprachen,

    um diese zu schützen;

  8. die Erleichterung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen in Wort und Schrift im  öffentlichen Leben und im privaten Bereich und/oder die Ermutigung zu einem solchen Gebrauch;

  9. die Erhaltung und Entwicklung von Verbindungen in den von dieser Charta erfaßten Bereichen zwischen Gruppen, die eine Regional- oder Minderheitensprache gebrauchen, und anderen Gruppen in diesem Staat mit einer in derselben oder ähnlicher Form gebrauchten Sprache sowie das Herstellen kultureller Beziehungen zu anderen Gruppen in dem Staat, die andere Sprachen gebrauchen;

  10. die Bereitstellung geeigneter Formen und Mittel für das Lehren und Lernen von Regional- oder Minderheitensprachen auf allen geeigneten Stufen;

  11. die Bereitstellung von Einrichtungen, die es Personen, die eine Regional- oder Minderheitensprache nicht sprechen, aber in dem Gebiet leben, in dem sie gebraucht wird, ermöglichen, sie zu erlernen, wenn sie dies wünschen;

  12. die Förderung des Studiums und der Forschung im Bereich der Regional- oder Minderheitensprachen an Universitäten oder in gleichwertigen Einrichtungen;

  13. die Förderung geeigneter Formen des grenzüberschreitenden Austausches in den von dieser Charta erfaßten Bereichen für Regional- oder Minderheitensprachen, die in zwei oder mehr Staaten in derselben oder ähnlicher Form gebraucht werden.

    (2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, sofern dies noch nicht geschehen ist, jede ungerechtfertigte Unterscheidung, Ausschließung, Einschränkung oder Bevorzugung zu beseitigen, die den Gebrauch einer Regional- oder Minderheitensprache betrifft und darauf ausgerichtet ist, die Erhaltung oder Entwicklung einer Regional- oder Minderheitensprache zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Das Ergreifen besonderer Maßnahmen zugunsten der Regional- oder Minderheitensprachen, welche die Gleichstellung zwischen den Sprechern dieser Sprachen und der übrigen Bevölkerung fördern sollen oder welche ihre besondere Lage gebührend berücksichtigen, gilt nicht als diskriminierende Handlung gegenüber den Sprechern weiter verbreiteter Sprachen.

    (3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, durch geeignete Maßnahmen das gegenseitige Verständnis zwischen allen Sprachgruppen des Landes zu fördern, indem sie insbesondere Achtung, Verständnis und Toleranz gegenüber den Regional- oder Minderheitensprachen in die Ziele der in ihren Ländern vermittelten Bildung und Ausbildung einbeziehen und indem sie die Massenmedien ermutigen, dasselbe Ziel zu verfolgen.

    (4) Bei der Festlegung ihrer Politik in bezug auf Regional- oder Minderheitensprachen berücksichtigen die Vertragsparteien die von den Gruppen, die solche Sprachen gebrauchen, geäußerten Bedürfnisse und Wünsche. Sie werden ermutigt, erforderlichenfalls Gremien zur Beratung...

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