Bundesgesetz vom 9. April 1954, womit Grundsätze über die Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge aufgestellt und unmittelbar anzuwendende Vorschriften über die Jugendwohlfahrt erlassen werden (Jugendwohlfahrtsgesetz ? JWG.).

Der Nationalrat hat beschlossen:

ERSTER TEIL.

Für die Landesgesetzgebung auf den Gebieten der Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge werden nach Art. 12 Abs. 1 Z. 2 des Bundes-

Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929

folgende Grundsätze aufgestellt:

A. Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge.

§ 1. Zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an hat die Landesgesetzgebung zu bestimmen, daß die Landesregierung für eine besondere Befürsorgung von Schwangeren, Wöchnerinnen, Säuglingen und Kleinkindern zu deren Gesunderhaltung sowie für die kostenlose Bereitstellung von Einrichtungen zur Beratung der Schwangeren und Mütter von Säuglingen und Kleinkindern (Mutterberatungsstellen)

vorzusorgen hat. Diese Regelung darf Angelegenheiten nicht berühren, die nach Art. 10 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind.

B. Öffentliche Jugendwohlfahrtspflege.

ABSCHNITT I.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 2. (1) Minderjährigen österreichischen Staatsbürgern ist nach den folgenden Bestimmungen des ersten Teiles öffentliche Jugendwohlfahrtspflege zu gewähren. Sie umfaßt die zur körperlichen,

geistigen, seelischen und sittlichen Entwicklung der Minderjährigen notwendige Fürsorge.

(2) Einem Minderjährigen nicht österreichischer Staatsbürgerschaft ist, sofern im folgenden nicht etwas anderes angeordnet ist, öffentliche Jugendwohlfahrtspflege nur zu gewähren, wenn 1. er unter gesetzlicher Amtsvormundschaft steht oder 2. für ihn bei einem österreichischen Gericht eine Vormundschaft oder Pflegschaft angeordnet ist oder 3. für ihn bei einem österreichischen Gericht vorläufige Maßregeln der Fürsorge getroffen sind oder 4. dies in Staatsverträgen bestimmt ist oder 5. der Heimatstaat des Minderjährigen österreichische Staatsbürger auf dem Gebiet der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege wie die eigenen Staatsangehörigen behandelt oder 6. dies im allgemeinen Interesse oder im Interesse des Minderjährigen unabweislich ist, um ihn vor körperlicher, geistiger, seelischer oder sittlicher Verwahrlosung zu bewahren.

(3) Volksdeutsche, das sind Personen deutscher Sprachzugehörigkeit, die staatenlos sind oder deren Staatszugehörigkeit ungeklärt ist, sind den

österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

(4) Soweit im folgenden nichts anderes angeordnet ist, werden nach anderen Rechtsvorschriften bestehende Rechte und Pflichten zur Erziehung nicht berührt.

§ 3. (1) Zur Vollziehung der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege ist das Land zuständig, in dem das Bedürfnis nach ihr hervortritt.

(2) Soweit die Durchführung der Aufgaben nach diesem Bundesgesetz in die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde fällt, sind diese Aufgaben von einer eigenen Abteilung (Jugendamt)

zu besorgen, der fachlich entsprechend ausgebildetes Fürsorgepersonal zur Verfügung stehen muß.

(3) Die mit der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege betrauten Behörden haben vor Anordnung einzelner Maßnahmen über schulpflichtige Minderjährige die Schulleitung anzuhören.

(4) Die Stellen der freien Wohlfahrtspflege sollen nach Maßgabe ihrer Satzungen zur Mitarbeit in der Jugendwohlfahrtspflege herangezogen werden, soweit sie dazu bereit sind.

(5) Die Träger der Sozialversicherung haben in Angelegenheiten der Jugendwohlfahrtspflege im Rahmen ihres gesetzlichen Wirkungskreises den mit der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege betrauten Behörden Hilfe zu leisten. Sie haben insbesondere über alle das Beschäftigungsverhältnis eines Minderjährigen und der zu seinem Unterhalt gesetzlich verpflichteten Personen betreffenden Tatsachen Auskunft zu geben.

(6) Die Arbeitgeber eines Minderjährigen und der zu seinem Unterhalt gesetzlich verpflichteten Personen haben den mit der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege betrauten Behörden auf Ersuchen

über alle das Beschäftigungsverhältnis dieser Personen betreffenden Tatsachen Auskunft zu geben.

§ 4. (1) Die Kosten von Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege trägt der Minderjährige, dem diese Maßnahmen zugute kommen. Im Falle seines Unvermögens haben sie die zu seinem Unterhalt gesetzlich verpflichteten Angehörigen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu tragen; Unvermögen des Minderjährigen ist schon dann anzunehmen, wenn die Belastung mit den Kosten für ihn eine besondere Härte bedeutete. Über die Tragung der Kosten ist im Verwaltungsweg zu entscheiden.

(2) Soweit die Kosten nicht nach Abs. 1 gedeckt sind, werden sie als Erziehungsaufwand nach den Vorschriften über die öffentliche Fürsorge getragen, jedoch sind die Kosten der Fürsorgeerziehung

(§§ 29 bis 33) vom Lande zu tragen; in den Fällen, die bei Inkrafttreten der Ausführungsgesetze zu diesem Bundesgesetz anhängig sind, gelten hinsichtlich der Tragung der Kosten die bisherigen Bestimmungen.

(3) Wird durch eine Maßnahme der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege dem Minderjährigen der Unterhalt gewährt und steht ihm für die Zeit dieser Unterhaltsgewährung gegen einen Dritten ein Rechtsanspruch auf Geldleistungen zur Deckung des Unterhalts oder ein Rentenanspruch

öffentlich-rechtlicher Natur zu, so geht dieser Rechtsanspruch im Ausmaß der erwachsenden Kosten auf die den Unterhalt gewährende

öffentlich-rechtliche Einrichtung über, wenn und sobald die Verwaltungsbehörde, die eine solche Maßnahme durchführt, dem Dritten die Unterhaltsgewährung schriftlich anzeigt.

ABSCHNITT II.

Ãœbernahme in fremde Pflege, Pflegeaufsicht,

Erziehungshilfe.

A. Ãœbernahme in fremde Pflege

(Pflegekinder).

§ 5. (1) Minderjährige unter 16 Jahren dürfen nur mit Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde in fremde Pflege übernommen werden.

Die Bewilligung ist nur zu erteilen, wenn die Gewähr für eine sachgemäße Pflege gegeben ist. Die Pflege ehelicher Minderjähriger durch Verwandte oder Verschwägerte je bis zum dritten Grad oder unehelicher Minderjähriger durch die Mutter, die mütterlichen Großeltern oder den Vater sowie die Pflege Minderjähriger durch die Wahleltern oder durch den Vormund ist nicht als fremde Pflege anzusehen. Pflege im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Sorge um die Bedürfnisse des Minderjährigen, die sein leibliches Wohl sowie seine geistige, seelische und sittliche Entwicklung betreffen.

(2) Keiner Bewilligung bedarf die Ãœbernahme in fremde Pflege:

  1. für bloß vorübergehende Dauer, wenn die Pflege nicht gewerbsmäßig gewährt wird;

  2. für einen Teil des Tages aus Anlaß eines auswärtigen Schulbesuchs;

  3. für einen Teil des Tages, wenn die Pflege nicht regelmäßig gewährt wird;

  4. durch Lehrherren zur Ausbildung in einem Gewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft;

  5. durch Anstalten, die der Aufsicht der Unterrichtsbehörde unterliegen;

  6. durch Inhaber von Heimen, die zur Übernahme von Pflegekindern bestimmt sind (§ 6).

    (3) Die Bewilligung hat die Person zu beantragen,

    die das Pflegekind zu übernehmen beabsichtigt.

    Der Minderjährige kann schon vor Erteilung der Bewilligung in Pflege übernommen werden, wenn dies aus Gründen seines Wohles nötig ist. In diesem Falle muß die Bewilligung,

    wenn dies nicht bereits geschehen ist, unverzüglich nach der Übernahme beantragt werden; wird die Bewilligung verweigert, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Abnahme des Pflegekindes anzuordnen und bei Gefahr im Verzug sofort zu vollziehen.

    (4) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Bewilligung der Übernahme in fremde Pflege zu widerrufen, wenn es das Wohl des Pflegekindes erfordert; in diesem Falle gelten die Bestimmungen des vorigen Absatzes über die Abnahme des Pflegekindes sinngemäß.

    (5) Wer den gewöhnlichen Aufenthalt eines Pflegekindes in den Bereich einer anderen Bezirksverwaltungsbehörde verlegt, hat dies unverzüglich,

    längstens binnen einer Woche dieser Behörde anzuzeigen.

    § 6. (1) Heime, die zur Übernahme von Pflegekindern bestimmt sind, dürfen nur mit Bewilligung der Landesregierung errichtet und betrieben werden. Die Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn das Heim nach seiner Einrichtung und Führung die volle Gewähr für eine sachgemäße Pflege bietet. Einer Bewilligung bedarf es nicht für Heime, die der Aufsicht der Unterrichtsbehörde unterliegen oder Einrichtungen

    öffentlich-rechtlicher Körperschaften sind.

    (2) Die Landesgesetzgebung hat zu bestimmen,

    daß die Landesregierung nach Anhörung der Landesschulbehörde Richtlinien für die Errichtung und den Betrieb der im Abs. 1 genannten Heime erläßt. Diese Richtlinien sind auch für Heime verbindlich, zu deren Errichtung und Betrieb es einer Bewilligung nicht bedarf, soweit sie nicht der Aufsicht einer Unterrichtsbehörde unterliegen.

    B. Pflegeaufsicht.

    § 7. (1) Die Pflegeaufsicht erstreckt sich auf 1. uneheliche Minderjährige unter 16 Jahren;

  7. eheliche Minderjährige unter 16 Jahren, falls sie bei anderen Personen als Verwandten oder Verschwägerten je bis zum dritten Grad in Pflege sind; Wahlkinder stehen hinsichtlich der Pflegeaufsicht den ehelichen Kindern gleich.

    (2) Öffentlich befürsorgte eheliche Minderjährige unter 16 Jahren, die bei Verwandten oder Verschwägerten je bis zum dritten Grad in Pflege sind, können von der Bezirksverwaltungsbehörde unter Pflegeaufsicht gestellt werden,

    wenn eine zweckwidrige Verwendung der Fürsorgeleistung zu befürchten ist.

    (3) Die Pflegeaufsicht obliegt der Bezirksverwaltungsbehörde.

    Die Pflegeaufsicht prüft laufend,

    ob die Pflege der Minderjährigen eine sachgemäße ist; ihre Organe dürfen in dieser Eigenschaft die Minderjährigen aufsuchen und deren Lebensverhältnisse ermitteln...

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